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Entkriminalisierung

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Vorwurfsvoll richten höchste Funktionäre des Staates in ihren Berichten die Rede ans Volk, wenn sie davon sprechen, wie viele Österreicher straffällig waren, verurteilt wurden und einsitzen müssen. Ausnahmsweise sind wir nicht stolz darauf, Europas Durchschnitt weit zu übertreffen. Und wenn sich von der Ministerbank des Parlaments ein höchster Politiker an die Stellvertreter des Volkes wendet, dann mit dem Unmut, daß sein Staat so viel Geld für so viele Strafgefangene aufwenden muß. Daher lag die Absicht auf der Hand, allein schon aus Gründen der Sparsamkeit, das Strafrecht zu entkriminalisieren; hinterdrein kamen die humanitären Argumente.

Und jeder sah ein, die falsch parkenden Autobesitzer und Verwaltungsübertreter sollten nicht ins Gefängnis. Von dieser Kampagne der Entkriminalisierung war aber nichts zu spüren. Obwohl die Verwaltungsübertretungen gemäß der Helsinki-Charta nicht so geahndet werden sollten, wie dies in Österreich üblich ist, kam niemand der höchsten Staatsdiener auf die Idee, dort zu entkriminalisieren, eher verzichtete man darauf, in diesem Punkt der Charta beizutreten.

Offenbar verstehen unsere obersten Funktionäre unter Humanisierung des Strafrechts andere Bereiche. Vor allem dort, wo sie selbst in den Sog von Ereignissen gelangen könnten, treten sie fest für Milderungen ein. Das sind die vielfältigen Wirtschaftsdelikte, die Verstöße, die unter dem Titel der Korruption im weitesten Sinn firmieren. Und hier war man allenthalben erfolgreich.

Schon der AKH-Prozeß zeigte, daß am Bau des Krankenhauses nur wenige viel Geld veruntreuten; bei gleichgelagerten Fällen in der Hoheitsverwaltung war man ebenfalls zur Milde bereit, wurde diese doch vom Argument unterstützt, wer mit viel Geld umgeht, dem kann auch viel abhanden kommen. Wer behält bei Milliarden schon den Uberblick?

Es gibt aber auch Fälle angewandter Entkriminalisierung: Minister warnen ihre Freunde rechtzeitig vor dem Zugriff ihrer behördeneigenen Institutionen. Minister beschaffen diensteifrig Alibis und Zeugnisse, als wären sie Gutachter oder Sachverständige in den meisten Belangen des Lebens. Und helfen alle diese Deckungen nichts, hat man schlimmstenfalls von nichts gewußt. Man kennt zwar die vielen Freunde, schätzt sie bis in die kleinsten Vertraulichkeiten, aber letzten Endes hat niemand etwas von der Tätigkeit der Freunde gewußt. So bleiben viele unbestraft und können ungestraft so weiter machen wie bisher.

Es gilt auch das Argument: Ein Urteil in erster Instanz ist noch lange nicht das letzte Wort. So ist das endlose Prozessieren ein Teil des Humanisierungsprogramms.

Es gilt auch ein anderes Argument der Entkriminalisierung: Warum soll man einen Defrau-danten noch einsperren, wenn er ohnehin sein Amt und Geld verlor? Hat er nicht genug gebüßt?

Alle diese Überlegungen sind überzeichnet. Wer genießt aber. wirklich die Vorteile der Entkriminalisierung bei falscher Zeugenaussage, bei Beihilfen zu Delikten? Sind es nicht häufig dieselben, die eine genaue Vorstellung von Entkriminalisierung bei bestimmten Delikten haben? In der parteienstaatlichen Demokratie hat man gegen diese Mißbräuche noch kein Mittel gefunden. Will man sie finden? Ist man nicht schon bereit, die Demokratie dem Umstand zu opfern, der den kleinen Vorteil vom „corriger la for-tune“ bringt? Politiker benehmen sich in diesen Fragen wie kleine Buben, die man dabei ertappt, wenn sie zehn Schilling aus der Börse nehmen, um sich ein Eis zu kaufen. Buben und Politikern ist immer heiß.

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