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Fernöstliches in Augsburg

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Es geht auffallend fernöstlich zu auf unseren Opernbühnen. Kaum ein Monat nach der Uraufführung der Oper „Sim Tjong“ des Koreaners Isang Yun im Münchner Nationaltheater fand jetzt im Stadttheater Augsburg die Uraufführung der Oper „Rashomon“ von Joachim Ludwig statt. Umgekehrt zu Isang Yun hat Joachim Ludwig versucht, musikalische Eindrücke, die er in seiner Eigenschaft als Konzertpianist auf ausgedehnten Asienreisen empfing, in die europäische Musiksprache zu integrieren.

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Es geht auffallend fernöstlich zu auf unseren Opernbühnen. Kaum ein Monat nach der Uraufführung der Oper „Sim Tjong“ des Koreaners Isang Yun im Münchner Nationaltheater fand jetzt im Stadttheater Augsburg die Uraufführung der Oper „Rashomon“ von Joachim Ludwig statt. Umgekehrt zu Isang Yun hat Joachim Ludwig versucht, musikalische Eindrücke, die er in seiner Eigenschaft als Konzertpianist auf ausgedehnten Asienreisen empfing, in die europäische Musiksprache zu integrieren.

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Ludwig, der seit geraumer Zeit in in München lebt, hat sich dafür zwei alte Legenden aus dem konjaku-Mo-nogatari (einer Legendensammlung aus dem 12. Jahrhundert) als Stoff ausgesucht: Ein reicher Kaufmanns-sohn reist von Kyoto mit seiner jungen Frau in die Provinz Tamba. Während einer Rast treffen sie auf einen Fremden. Der Mann tauscht mit dem Fremden die Waffen — ein wertvolles Schwert gegen einen simplen Bogen. Dieser Bogen hat aber den Vorteil, daß er im Kampf „weiterreicht“; und so überwältigt der Fremde den Mann und vergewaltigt die Frau. Der Librettist Christian Grote hat diese sehr dramatische Handlung (die in dem berühmten Film „Rashomon“ eine gültige Ausdrucksform fand) dramaturgisch eingeengt, indem er die Handlung vor dem Forum der Gerichtsbarkeit erzählen läßt und wohl auch die Form der Rückblende anwendet, sich hier jedoch den filmischen Mitteln gegenüber in einem durch nichts aufzuholenden Rückstand befindet. Zudem hat Grote etwas konstruiert, was so gar nicht asiatisch, sondern durch und durch europäisch ist: Er will deutlich machen, daß die Frau selbst die Vergewaltigung provoziert, die Chance zu ihrer eigenen Befreiung nützt, sich gewissermaßen in dieser Situation emanzipiert. Das ist sehr fortschrittlich gedacht, mit der Zeit des aufblühenden Bürgertums in Japan — zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert — ist das aber überhaupt nicht in Einklang zu bringen!

„Die Relativität der Wahrheit — das ist das eigentliche Thema der Oper und das macht die Spannung des Stoffes aus“, glauben die Autoren nach ihren eigenen Ausführungen, aber wie komponiert man die „Relativität der Wahrheit“? Nicht die Gedankenfracht reißt das

Opernpublikum mit, sondern einzig und allein die Möglichkeit, sich mit einem dargestellten Schicksal identifizieren zu können, wobei die Musik die Erlebnisbereitschaft fördern, das Thema selbst aber überhöhen sollte.

Der Augsburger Intendant Peter Ebert hat Joachim Ludwig eine Chance gegeben. Daß Ludwig diese nicht oder nur sehr schlecht zu nützen verstand, ist seine eigene Schuld. Freilich wird ein Opernerstling nur selten zum non plus ultra, aber zu dieser Legende, die mit elementarer Vitalität geladen ist, hätte man ein spezifisches Instrumentarium schaffen müssen, nicht einen Klangbrei aus der Musiklandschaft zwischen Korngolds „Die tote Stadt“ und Hindemiths „Nobilissima Visione“. Es geht — der Komponist verstehe das recht — weder um Tonales noch um Modernistisch-Serielles, es geht darum, daß eine Partitur einen Charakter haben soll! Man muß heute mehr denn je auf die Wahl der Mittel achten und die Kraft haben, eine Konzeption auch durchzuhalten. Das ist hier nicht der Fall und so muß der Versuch, endlich wieder eine deutsche zeitgenössische Oper zu kreieren als gescheitert betrachtet werden.

Die Stillosigkeit des Werkes wurde noch unterstrichen durch eine banale Regieführung von Steffen Tiggeler, der aus dem Kontrast zwischen den statuarischen Gerichtsszenen und den dramatisch-komödiantischen Elementen der Handlung kein Kapital schlagen konnte (die Kostüme von Anni Keim-Strauß machen eine rühmliche Ausnahme, auch sind die Bühnenbilder von Heinz-Gerhard Zircher immerhin akzeptabel). Die musikalische Wiedergabe war — abgesehen von dem total überforderten Chor — ausgezeichnet, was in erster Linie das Verdienst des Dirigenten Reinhard Peters ist und um Atsuko Azuma (Frau) wird sich jede Opernbühne reißen. Aber auch Jon Weaving (Mann), Armand McLane (Fremder), Rupert Straub (Richter) und Edith Menzel (Alte) sorgten für musikalische Präsenz. Es gab viel Beifall, aber auch herzhafte Buh.i für den Komponisten.

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