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Friedloser Friedländer

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In jenem 17. Jahrhundert, während dem den Österreichern in mehr als 97 Jahren Krieg auf erlegt und in knapp zwei Jahren Frieden gegönnt war, führten bei den „Kaiserlichen“ fünf den Titel „Generalissimus“, der nachher nur noch Erzherzog Karl verliehen wurde. Vier waren Ausländer: Tilly aus Brabant, Montecuccoli aus Modena, Ludwig von Baden und Prinz Eugen, aus Paris gebürtig. Einer nur, Tscheche und Protestant der Herkunft nach, war gebürtiger „Österreicher“: Albrecht von Wallenstein, als General- Oberst-Feldhauptmann der Kaiserlichen Armada nicht nur Heerführer, sondern Schöpfer der Armada in der Krise des Dreißigjährigen Krieges, jener Kaiserlichen, wie die österreichische Armee hieß.

Wen interessiert das in der Republik? In Diskussionen über die Reform des Bundesheeres, immerhin noch so etwas wie ein Heer, fällt der Name Wallenstein. Ein maßgeblicher Sprecher des Bundesjugendringes fragt lauernd, wer denn garantiere, daß nicht Oberste dieses Bundesheeres eines Tages putschen; wie Oberste in Griechenland, die jetzt die Demokraten verfolgen. Und die Offiziere erwidern: Nie hat in diesem Staat die Armee „geputscht“. Der Staat hat die Armee meisten« miserabel trainiert. Aber nicht einmal Wallenstein, Schöpfer dieser Armee, sei jemals jener angebliche Verrat nachgewiesen worden, der ihm im Konflikt mit dem Hause Österreich das Leben kostete. Österreichs Historiker, die der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts und der zentralen Figur dieses „historischen Romans“ eine eher lässige Aufmerksamkeit erweisen, weil scheinbar alles aufgeht in dem nachherigen „Heldenzeitalter“ und in der Apotheose des Prinzen Eugen, finden hier auf 1368 Seiten reichlich Stoff: für Fehlerberichtigungen,

Widerlegungen und Kommentare. Der österreichische Leser wird darin wenig von dem finden, was Leopold von Ranke, Norddeutscher und Protestant, am österreichischen wahrnahm: geistige, Leben hervorbringende Kräfte, moralische Energien, unversiegbare Lebenskräfte; eine katholische, deutsche, militärisch stabile Macht. Dieses österreichbild analysiert Golo Mann in einem Scheidewasser, das es fast vollends zersetzt.

Aber dieser Roman ist für die Deutschen geschrieben, die im zerfallenden Europa leben. Für die Deutschen, deren Volk seit 1914 keinen Frieden mit der Welt und mit sich finden kann. Der Krieg, die Gewalttätigkeit, die „gerechtfertigte und ungerechte“ Gewaltanwendung und anderseits Friedenssehnsüchte, Bemühungen um den Frieden und Geschäfte mit dem Frieden sind Motive, die dem Leser auf den langen Passagen der Lektüre die Geschichte und die Gegenwart präsent machen. Teilhard de Chardin verweist uns in die Betrachtung weit zurückliegender Zeiten, wenn wir den Ursprung der jetzigen Wende erkunden wollen. Golo Mann präsentiert eben jene Epoche, in der die Zerstörung an fing, weil die Mitte zerstört wurde: Franzosen aus dem Westen, Schweden aus dem Norden und der Osten in wechselnden Kombinationen stoßen auf die Mitte vor, wo das Reich zerfällt, nachdem der Glauben zerfiel.

Für den Österreicher ergreifend ist das Nachspüren in der materiellen und spirituellen Welt Böhmens, das uns Schicksal ist. Hier, in Anklagen gegen eilfertige Selbstgerechtigkeiten vergangener Zeiten, und im Bild der zerstörenden, gestörten und zerstörten Macht des Mächtigen erreicht der Roman die volle Höhe. Unendlich viele, sorgfältig ausgemachte Details und (auch für Laien lesenswerte) Anmerkungen helfen dem, der durch den Roman zu den vielen Spuren gelangen will, die ein großmächtiger Herr hinterläßt, bevor er gefällt ist. Für Schuld oder Unschuld des Wallenstein, im Sinne der eingangs erwähnten Rechtfertigung der Armee, findet der Leser auch in diesem Buch keinen schlüssigen Beweis. Auf eine andere, qualvollere Frage aus quälender Gegenwart kommt eine Antwort: Warum und ob überhaupt gerade unserer Generation mehr als jeder vorherigen ein so unausstehliches Dasein an „einmaliger Wende“ auferlegt ist? Kein Ziel, kein Sinn des Lebens wird sichtbar; aber: die unaufhörliche Sukzession der „Wenden“. Der gläubige Mensch erahnt Ersatzreligionen, nach denen der Agnostiker im Übergang greift; sie sind kein Ersatz.

Der Held ist für Golo Mann kein anderer als der, den Schiller so gesehen hat: „Auch die Leidenschaften, Rachsucht und Ehrbegierde sind von der kältesten Gattung. Sein Charakter ist niemals edel (durfte es in Schillers Drama nicht sein) und durchaus kann er nur furchtbar, nie eigentlich groß erscheinen. In den ungeheuren Proportionen des Panoramas ist er groß genug.

Bleibt die Frage: Historische Stoff gestai tung, historisierender Roman, Anfang eines Psychogramms, politologische Deutung? Doch der Autor ist mehr als des Thomas Manns Sohn, des Willy Brandts Historiograph, der unbewältigten Gegenwart Engagierter. Er schreibt ein Deutsch, das — hat man sich an den historisierenden Stil gewöhnt — nicht gekünstelt wirkt, sondern künstlerisch geformt.

WALLENSTEIN. Von Golo Mann. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt 1971, 1368 Seiten.

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