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Für eine offene Pastoral

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Jesus hat man vorgeworfen, er sei ein Freund der Zöllner und Sünder. Seihe Antwort: Die Kranken brauchen den Arzt, nicht die Gesunden.

Ich wünsche mir, man könnte meiner Kirche heute den gleichen Vorwurf machen. Gewiß muß dem Mißverständnis vorgebeugt werden, Jesus hätte die Sünde gehätschelt und wäre gegen die Frommen gewesen. In Wirklichkeit war er nur gegen die scheinbar Frommen, die sich in ihrer gesetzestreuen Frömmigkeit berechtigt glaubten, über jene zu urteilen, die unvollkommen lebten. Und den Sündern sagte er nicht nur: „Deine Sünden sind dir vergeben“, sondern auch: „Gehe hin und sündige nicht mehr!“

Jesus konnte beides zugleich: Das Ideal der heilen Welt als Orientierung zu zeichnen und den konkreten Menschen, auch den Gescheiterten, so zu nehmen, wie er ist. Die Kirche, die den Geist Jesu in dieser Welt repräsentieren will, sollte auch beides können. Aus Angst, das Ideal zu verraten, traut sie sich aber nicht recht, mit den unvollkommenen Situationen so unbefangen umzugehen wie Jesus. Schade!

Da sind die Geschiedenen, die wieder geheiratet haben. Ihre Zahl steigt auch unter den praktizierenden Gläubigen von Jahr zu Jahr. Aus Angst, mißverstanden zu werden, schließt die Kirche diese Menschen vom Empfang der Sakramente aus. Das fuhrt zu einer grotesken Konsequenz, die einer so ausgedrückt hat:

„Wäre ich an meiner ersten Frau zum Mörder geworden, hätte ich diese Sünde beichten können und wäre für den Rest meines Lebens weiterhin ein vollberechtigtes Glied der Kirche. So aber, weil ich mit der Scheidung ihr und mir einen Neubeginn ermöglicht habe, muß ich als Ausgestoßener leben.“

Freilich gibt es Seelsorger oder auch Bischöfe, die hier einen pastoralen Ausweg für den Einzelfall kennen. Aber die Betroffenen sind ständigen Wechselbädern ausgesetzt, weil sie ja auch jene Stimmen hören, die den „Ausweg“ heftig ablehnen. Die Wünsche verschiedener Synoden liegen in Rom. Die offenen Fragen blieben bisher unbeantwortet. Es wäre schön, wenn ein Papst, der Kinder küßt und dadurch einen ungeheuren Vertrauensvorschuß gewonnen hat, auch in den drängenden pastoralen Fragen ein erlösendes Wort spräche.

Ich denke auch an jene Eltern, die ihren erwachsen werdenden Söhnen und Töchtern fassungslos gegenüberstehen, wenn diese sich gemeinsam mit dem Liebespartner für ein Zusammenleben ohne Eheschließung entscheiden. In Loyalität mit der Kirche meinen viele Väter und Mütter, hart sein zu müssen. Und sie brechen den Kontakt ab. Ist das christlich? Wo ist die Pastoral, die ihnen einhämmert, daß jetzt Kontakt und Liebe notwendiger sind denn je?

Natürlich ist dieses Verhalten der Jungen nicht richtig. Sie haben Angst vor der Bindung. Aber woher kommt diese Angst? Zum Teil sicher daher, daß sie die schlechten, scheiternden und langweiligen Ehen der älteren Generation erleben.

Besserwissende Überheblichkeit ist nutzlos. Helfen kann nur, wer den Hilfsbedürftigen in seiner Situation, mit seinen Gedanken und Motivationen und in seinen Grenzen ernst nimmt. Christlich ist es, ihm zum nächstbesseren Schritt zu verhelfen, wenn schon der beste Weg nicht unmittelbar erreichbar ist. Eine Kirche, die aus Angst nur das Ideal verkündet und nicht genug Liebe hat, sich der unvollkommenen Realität zu stellen, erreicht, daß die Menschen sie traurig verlassen; daß sie in ihrer Enttäuschung still emigrieren.

Eine offene Pastoral müßte heute Hauptanliegen der Kirche sein. Offene Pastoral bedeutet Sorge um die Menschen im Geist Jesu; also jeden akzeptieren, wie er ist, auch mit seiner Unvollkom-menheit. Es geht um ein Klima, in dem sich auch die Christen, die nicht „ideal“ leben, wohl fühlen können.

Damit ist in erster Linie ein Appell an die Gesinnung der kirchlich aktiven Christen gerichtet, an denen der Normalbürger Kirche erlebt. Die Forderung nach einer offenen Pastoral betrifft aber auch den „Apparat“ der Kirche, also Bischöfe und höhere Funktionäre, die das christliche Element in der Kirche nicht behindern dürfen.

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