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Grenzen ökonomischer

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„Eine Zeitenwende”, schreibt der ehemalige Finanzminister und Präsident der Oesterreichischen Nationalbank, Wolfgang Schmitz, „kommt selten allein”. Er sieht das Ende der wirtschaftlichen Globalsteuerung gekommen, das Ende der antizyklischen Konjunkturpolitik und damit das Ende des Zeitalters John Maynard Keynes, dessen Lehren länger als vierzig Jahre den Wirtschaftspolitikern in aller Welt als Grundlage für die Bewältigung von Rezessionen bzw. der Vermeidung von Depressionen diente.

Also heißt es von der „Illusion der ,Machbarkeit” der Konjunktur durch die Konjunkturpolitik” Abschied zu nehmen. Nicht nur im ökonomischen Bereich, sondern auch in der Gesellschaftspolitik, die gerade im letzten Jahrzehnt ungeprüft ebenfalls an die Machbarkeit aller Dinge glaubte. Deshalb kommt über das ökonomische hinaus der „Umbruchcharakter unserer Zeit” auch in der zunehmenden Tendenz zum Ausdruck, den modernen Wohlfahrtsstaat als „neuen Totalitarismus” oder „Wohlstandsdiktatur” zu erkennen. Dies alles zu einer Zeit,

da in Westeuropa und Amerika das Gespenst der Unregierbarkeit umgeht, weil der heutige Staat offensichtlich überfordert wird.

Wolfgang Schmitz faßt seine Erfahrungen, Ansichten, alternativen und Prognosen in einer grundlegenden Untersuchung über „die antizyklische Konjunkturpolitik - eine Illusion; Grenzen der .Machbarkeit” durch Globalsteuerung” zusammen. Man muß dem renommierten Autor bescheinigen, daß er mit seiner Kritik an der antizyklischen Konjunkturpoltik schon vor vielen Jahren in der Wüste rief, daß er die Globalsteuerung schon zu einem Zeitpunkt kritisierte als sie hoch in Mode war und alle ökonomische Expertenwelt glaubte, damit das Ei des Kolumbus gefunden zu haben.

Doch nirgendwo in diesem Buch spürt man die Befriedigung des Autors, eigentlich schon immer recht gehabt zu haben, heraus. Im Gegenteil: Scharfsinnig und einprägsam weist er auf die Ursachen jener Irrtümer, die das kleine Österreich und die große Weltwirtschaft in eine Wachstumskrise gestürzt haben, hin, erklärt die Konjunkturschwankungen als einen „politischen Zyklus”, kritisiert aggregierte Größen (Angebot, Nachfrage, Investitionen usw.) als unbrauchbare Basis, entlarvt die Konjunkturdiagnose und -prognose als zu wenig präzis.

Als Finanzminister vertrat Wolfgang Schmitz das Konzept des „währungsneutralen Budgets”, das im wesentlichen darauf hinauslief, ein Gleichgewicht zwischen dem Budgetdefizit und der Staats-Schuldentilgung herzustellen. Damals warfen ihm prominente sozialistische Wirtschaftspolitiker „Saldenfetischismus” und eine puritanische Haushaltsgesinnung vor. Hätte sich die Budgetpolitik der siebziger Jahre nur einen kleinen Teil dieses „Saldenfetischismus” und dieser „puritanischen” Haushaltsgesinnung bewahrt, die österreichische Wirtschaftspolitik hätte heute nicht mit exorbitant hohen Inflations raten und Budgetdefiziten zu kämpfen. Es ehrt Wolfgang Schmitz, daß er heute mit diesen Vorwürfen nicht abrechnet, nur mit Fakten argumentiert, dem Leser alle denkbaren Schlußfolgerungen überläßt.

Schmitz’s Alternativen basieren auf jenen Erfahrungen, die er schon vor Jahrzehnten als Vertreter der Sozialpartnerschaft gewonnen hatte: „Vielleichtkann unsere Demokratie mit der Rückführung der Verantwortung für die Vollbeschäftigung auf die Sozialpartner, in der Erkennung der Sinnlosigkeit des politischen Verteilungskampfes und der Wiederentdeckung der Solidarität in der pluralistischen Gesellschaft an einem neuen Regenerationsprozeß genesen.” Vorausset zung dafür ist „eine Rückbesinnung auf das Wesenhafte”.

Und es mag überraschen, daß der Pragmatiker Schmitz (der freilich die Theorie nie Theorie sein ließ) heute ähnlich wie Karl Steinbuch an die „Endphase der pragmatischen Politik” glaubt: Man kann zwar einfache Systeme ohne Theorie kontrollieren, nicht aber hochkomplexe. Das angemessene Zeitmaß für Änderungen der Verhaltensformen des Menschen sind im Zeitalter des Computers und der elektronischen Massenmedien nicht mehr das Jahrtausend, nicht einmal das Jahrhundert, sondern grundlegende Veränderungen ereignen sich heute schon in wenigen Jahren. „Tendenzwenden”, so Wolfgang Schmitz, „sind eine Komponente solcher umfassender Entwicklungen. Ihre Bewältigung wird über die gesamte künftige Entwicklungsrichtung mitentscheiden, wie sie von dieser wieder mitgeformt wird.”

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