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Helden oder krepierte Opfer?
In den ersten Novembertagen, beim Totengedenken, werden vor Kriegerdenkmälern Kränze niedergelegt: Helden- oder Opfergedenken? Eine Studie betritt wissenschaftliches Neuland.
In den ersten Novembertagen, beim Totengedenken, werden vor Kriegerdenkmälern Kränze niedergelegt: Helden- oder Opfergedenken? Eine Studie betritt wissenschaftliches Neuland.
Die Kriegstoten sind keine Privatsache, sondern öffentliches Anliegen: Neben den Gemeinden kümmern sich beispielsweise das Schwarze Kreuz, der Kameradschaftsbund und das Bundesheer um Ruhestätten und Mahnmale der Gefallenen. Achtung, Schutz und Erhaltung der Gräber und Denkmäler für Soldaten fremder Armeen sind sogar im Staatsvertrag geregelt.
Was ungeachtet der offiziellen Zeremonien die Bevölkerung beim Anblick von Krieger„denk“mälern heute wirklich denkt und empfindet, darüber wissen wir wenig. Ob der durchschnittliche Gemeindebürger überhaupt Auskunft über Entstehung, Standort, Aussehen oder Beschriftung „seines“ Denkmals geben könnte?
Der letzte Krieg ist lange her -was bedeuten uns seine Opfer, was gehen sie uns überhaupt noch an? Welche Gefühle rufen Mahnmale für die Gefallenen bei jenen hervor, die den Krieg nicht erlebt oder niemanden zu betrauern haben? Die Bedeutung solcher Monumente muß irgendwo zwischen Kriegsbeschönigung und -Verhinderung, zwischen Sinngebung und Verdrängung, zwischen Totenkult und Totengedenken liegen. Sie sind keine neutralen Zeugnisse, sondern Ausdruck des „Geistes“ ihrer Zeit -dabei ebenso Erinnerung an die vergangene wie Herausforderung an unsere Zeit.
Daß Gedenksteine mit Bezügen zum Krieg auch heute zu Steinen des Anstoßes werden können, zeigt etwa der in der Bundesrepublik heftige Emotionen auslösende Streit um bereits bestehende beziehungsweise geplante Denkmäler „für den unbekannten Deserteur“.
Deutsche Untersuchungen belegen einen tiefgreifenden Wandel in der Sicht des Soldatentodes zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert. Der einfache Soldat wurde überhaupt erst im Zuge der Befreiungskriege „denkmalwürdig“; jede Zeit brachte dann ihre auch für das jeweilige Herrschaftssystem typischen Denkmäler hervor. Nicht wenige davon wurden, sei es unter einer neuen politischen Ordnung, sei es auf Veranlassung von Siegern, wieder demoliert oder zumindest verändert. Dabei sollte klar sein, daß eine geistige Haltung nicht durch die Beseitigung ihrer Zeugnisse überwunden werden kann.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurden sehr viele Mahnmale des Ersten Weltkriegs ganz einfach durch Anbringung zusätzlicher Tafeln ergänzt, was nicht nur Sprachlosigkeit, sondern wohl auch einen endgültigen Bruch in der Einstellung zum Kriegstod dokumentiert.
Dafür sind mehrere Gründe maßgebend: Einmal die Entpersönlichung des einzelnen „Kämpfers“ und seiner traditionell geschätzten Eigenschaften wie Tapferkeit oder Opferbereitschaft durch technisierte Massenvernichtungswaffen. Der Tod war anonym, maschinell geworden und umfaßte nun die Zivilbevölkerung sowie Angehörige von
Minderheiten stärker und furchtbarer als je zuvor. Dieser neuen Dimension des Kriegstodes war rational kein neuer, positiver Sinn mehr zu verleihen - am wenigsten, so wie noch nach dem Ersten Weltkrieg, in Richtung Vorbild- oder gar Nachahmungsfunktion.
Gleichzeitig verblaßte, ja verfiel das alte Heldenbild. Wo die Masse der unbekannten Soldaten stirbt, ohne einem Gegner ins Auge zu blicken, bleibt für die Verklärung heldischen Ruhms kein Platz mehr. Das neue Heldentum hieß fortan Zivilcourage.
Die Wirklichkeit an den Fronten beeinflußte auch das Bild der Soldaten vom eigenen Tod; dessen religiöse oder ideologische Verbrämung als Opfertod verlor zunehmend an Gewicht. Von Kriegsbegeisterung, wie sie noch vor 1914 feststellbar war, hatte man ja 1939 ohnehin nur mehr wenig bemerken können.
Schließlich stellten sich in Anbetracht der Atombombe als perfektioniertem Massenvernichtungsmittel die Fragen nach Sinn und
Notwendigkeit von Kriegen überhaupt völlig neu. Die Gedenkstätten der Opfer, wie unbemerkt sie auch im Schatten großer Bäume dastehen mögen, sind vielleicht der unmittelbarste Anknüpfungspunkt für derartige Überlegungen.
Anders als zum Beispiel in der Bundesrepublik hat sich die Wissenschaft in Österreich bislang nicht ernsthaft mit der Untersuchung von Kriegerdenkmälern befaßt. Der Historiker Manf ried Rauchensteiner hat diese Lücke entdeckt und den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung für die Unterstützung eines zweijährigen Forschungsprojektes gewinnen können.
Grundlage der Studie ist die Totalerfassung aller österreichischen Kriegerdenkmäler. Über die Landesregierung erhielten alle Gemeinden das Ersuchen, ihre Mahnmale (auch fotographisch) zu dokumentieren und Fragen nach Entstehung, Standort, Stiftung, künstlerischer Gestaltung, Inschriften und anderes mehr zu beantworten. Diese Phase steht bereits vor dem Abschluß.
Die historische Analyse wird den Hauptteil der Studie bilden; dabei kann sich die wechselvolle Geschichte der österreichischen Gedenkstätten freilich nicht auf das Gebiet der Zweiten Republik beschränken. In einem kunsthistorischen Teil sollen Ästhetik und Symbolik, aber auch künstlerische Wertigkeit der Denkmäler untersucht werden.
Der soziologische Beitrag fragt schließlich am Fallbeispiel des Bezirks Bruck/Leitha nach dem
Umgang der Bevölkerung mit „ihren“ Kriegerdenkmälern.
Am erst 1982 errichteten Vietnam-Memorial in Washington ziehen täglich Tausende vorbei, nicht nur am Memorial-Day. Bei uns stellt sich das Gedenken auch an dafür offiziell festgelegten Tagen keineswegs automatisch ein. Ob dabei Verblassen durch allzu großen zeitlichen Abstand, Vergessen durch Verdrängung oder erfolgreiche „Bewältigung“ die Hauptrolle spielt, sei dahingestellt. Der Sinn nationalen Gedenkens soll gewöhnlich in bezug auf etwas Gemeinsames bestehen, wobei man sich mit dem Abfeiern militärischer Siege über andere Völker sicherlich leichter tut als mit Volkstrauertagen, die früher einmal Heldengedenktage waren.
Wird es in der Sowjetunion einmal ein Afghanistan-Mahnmal geben - und wie wird es aussehen, was kann es aussagen? Wenn Traditionspflege auch die Fortführung der Gegenwartsdiskussion mit anderen Mitteln ist, welche Überlieferung wird dann den Kriegerdenkmälern zukommen? Bisher halfen sie eher fortzusetzen, was sie angeblich beklagten. Das Moment der Mahnung reichte in beträchtlichen Teilen der Welt jedenfalls nicht für eine Absage an den Krieg. Und doch wird es in Zukunft keinen „Soldatentod“ mehr geben, weil die zivilen ein Vielfaches der militärischen Opfer ausmachen würden. Das Interesse an Kriegerdenkmälern rechtfertigt sich auch daraus, daß es die letzten bleiben müssen.
Der Autor arbeitet als Soziologe an der Wiener Landesverteidigungsakademie.
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