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Im Parlament verschanzt

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Mit Hilfe des Slogans „100.000 neue Arbeitsplätze 1971!“ wurde Robert Bourassa (36) vor einem Jahr zum Premier von Quebec gewählt. Seither ist die Zahl der Arbeitslosen in Kanadas größter Provinz um 50.000 gestiegen, zur Zeit sind zehn Prozent der Arbeiter Quebecs stellenlos.

Nach der Ermordung seines Arbeitsministers Laporte durch Terroristen-Separatisten im Vorjahr hat sich der junge Regierungschef in ein Appartement im Parlamentsgebäude zurückgezogen. Nachts stehen bewaffnete Leibwächter vor seiner Schlafzimmertür. Die Gefahr eines Gewaltaktes der Terroristen- Separatisten besteht zu jeder Stunde. Verständlich, daß Bourassa bei jedem Erscheinen in der Öffentlichkeit von Polizisten und Kriminalbeamten umgeben ist.

Nach der Rückkehr aus Deutschland und Frankreich hofft Bourassa auf einen Zustrom europäischen Kapitals. Doch das unsichere politische Klima in der Belle Province Quebec dürfte sich hier als Handikap erweisen. An dem Tage, da die kanadische Presse Rückschau auf Premier Bourassas Amtszeit hielt,

stürmte die Polizei das Arbeitslosenamt von Alma, wo Unzufriedene zwei Beamte als Geiseln gefangenhielten. Wenige Tage vorher hatte der liberale Abgeordnete Alexandre Cyr im Arbeitslosenamt von Chand- ler das gleiche Erlebnis. Mittlerweile stehen Protestmärsche in Maniwaki im Brennpunkt des Interesses. Von den 6300 Arbeitern des Gebietes sind 2400 stellenlos. Die Demonstrationen in Maniwaki richten sich gegen die Schließung einer. Fabrik. Quebec dürfte unruhigen Zeiten entgegengehen, gelingt es nicht, das brennende Problem der Arbeitslosigkeit besser zu lösen, als es Premier Bourassa bisher gelang.

Unterdessen geriet, in Bedrängnis zwischen schlechter allgemeiner wirtschaftlicher Lage auf deT einen und durch technologische Fortschritte bedingte Krisen auf der anderen Seite, ein weiterer, einst florierender Wirtschaftszweig in die Krise: Das private Fernsehen Kanadas. Vor einigen Jahren noch behauptete der aus Toronto stammende britische Zeitungskönig Lord Thompson, ein im Privatbesitz befindlicher Fernsehsender sei für den Eigentümer so einträglich wie das Recht, seine eigenen Banknoten zu drucken. In Kanada stimmt das heute nicht mehr, und das Kabelfernsehen ist die Ursache dafür. Von den fünf Millionen Haushalten des zweitgrößten Landes der Erde ist bereits eine Million Familien an das

Kabelfemsehen angeschlossen. Das sichert ihnen (gegen Zahlung von einigen Dollar pro Monat) Unabhängigkeit von den lokal ausgestrahlten Programmen, da sie eine Vielfalt von Sendern empfangen körnen, wobei der Empfang auch von Störungen frei ist.

Anderseits aber reduziert dieses „cable-TV“ das Publikum der Fernsehsender im Privatbesitz und mindert dadurch deren Wirksamkeit als Werbeträger — und die Einkünfte dieser Sender stammen ausschließ lich aus den Zahlungen der werbetreibenden Firmen.

Nun hat John Bassett, Präsident des einzigen privaten Fernsehsenders der Metropole am Ontariosee — Torontos CFTO — angeregt, die Abonnenten des Kabelfernsehens sollten je Monat weitere 50 Cents zahlen, wobei diese Summen den kanadischen Fernsehsendern in Privatbesitz zugeführt werden sollten, um auch zu ihren Programmkosten aus öffentlichen Mitteln beizutragen. Das staatliche Sendenetz der Canadian Broadcasting Corporation erhält aus öffentlichen Mitteln rund 150 Millionen Dollar pro Jahr, da es in Kanada keine Fernseh- und Hörfunkgebühren gibt. Anderseits — so Bassett — sei es nur gerecht, daß die Kabelfirmen, die jedes Monat riesige Summen von ihren Abonnenten einkassieren, auch etwas den kanadischen Fernsehsendern Zahlten, für das Privileg, „Programme aus der Luft zu holen“.

Groß ist die Zahl der Firmen, die in Kanada in das so- einträgliche Kabelfemsehgeschäft einsteigen wollen. Nach welchen Grundsätzen hier die Auswahl durch die Canadian Radio-Television Commission erfolgt, ist bis heute unbekannt geblieben. Nur naive Gemüter zweifeln daran, daß politische Einflüsse eine Rolle spielen — ganz so, wie bei der Vergebung der Lizenzen für den Betrieb privater Fernsehsender.

Beispielsweise erhielt John Bassett, Verleger der konservativen Abendzeitung The Telegram (Toronto) und konservativer Kandidat für das Parlament, während des Regimes des konservativen Premierministers John Diefenbaker, die Lizenz für den Fernsehsender CFTO.

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