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Immer mehr Zinsen

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Fast 47 Milliarden Schilling erreichte die Finanzschuld des Bundes mit Jahresende 1971. 46,85 Milliarden Schilling scheinen ein enormer Betrag zu sein, sind sie doch zum Beispiel weit mehr als das Zehnfache der jährlichen Aufwendungen des Staates für die Landesverteidigung — aber ist Österreich deshalb

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Fast 47 Milliarden Schilling erreichte die Finanzschuld des Bundes mit Jahresende 1971. 46,85 Milliarden Schilling scheinen ein enormer Betrag zu sein, sind sie doch zum Beispiel weit mehr als das Zehnfache der jährlichen Aufwendungen des Staates für die Landesverteidigung — aber ist Österreich deshalb

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Vergleicht man den Verschuldungsgrad des Bundes mit jenem anderer europäischer Industriestaaten, so stellt man fest, daß Österreich weniger verschuldet ist als die meisten anderen Staaten, ausgenommen die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz. Die Verschuldung Österreichs macht 12,3 Prozent des Bruttonationalprodukts aus. Im Gegensatz dazu erreichte die Staatsverschuldung Großbritanniens, die aus einer hohen Verschuldung während des zweiten Weltkriegs herrührt, mit umgerechnet 210 Milliarden Schilling 76,4 Prozent des Bruttonationalprodukts. Auch die Verschuldung Belgiens, mit mehr als 52 Prozent und jene der Niederlande mit mehr als 30 Prozent liegt weit höher als die österreichische.

Auch langfristig beobachtet, sieht die österreichische Situation nicht besorgniserregend aus: Wie dem soeben erschienenen Finanzbericht i des Bundes zu entnehmen ist, schwankte die Verschuldung Österreichs in den letzten 15 Jahren zwischen 11 und 14 Prozent des Bruttonationalprodukts, nur im Jahr 1957 war der Anteil mit 8,3 Prozent erheblich niedriger.

Dennoch registriert der Verfasser des Finanzberichtes, der wissenschaftliche Leiter des österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung, Prof. Dr. Hans Seidel, die Staatsverschuldung als Grund für Unbehagen in der Bevölkerung: Denn die Zinsen für die Finanzschuld des Bundes machten 195C noch etwas mehr als 1 Prozent der

Nettoerträge des Bundes aus, heuer werden es bereits fast 5 Prozent sein.

Die Staatsausgaben wuchsen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts etwa doppelt so rasch wie das Brutto-nationalprodukt. Das findet auch in den ständig steigenden Steuern und Sozialabgaben seinen Niederschlag: Während der Anteil der Steuern und Sozialabgaben im Jahr 1913 noch 13 Prozent des Bruttonationalprodukts ausmachte, liegt er heute bereits bei 36 Prozent, also fast um das dreifache höher.

Das Ausmaß der Staatsverschuldung hat aber noch einen weiteren Nachteil: Die Kreditfinanzierung öffentlicher Ausgaben dämpft, so Professor Seidel, in der Regel die privaten Ausgaben nicht im selben Maß wie die Staatsfinanzierung. Das bedeutet aber, daß durch eine steigende Staatsverschuldung indirekt die Inflation angeheizt wird: so wird zum Beispiel der gegenwärtige Boom in der Bauwirtschaft und die daraus resultierende unbefriedigende Entwicklung am Preissektor nicht zuletzt durch ständig steigende Aufwendungen des Bundes für Großbauten ausgelöst. Um diesem Phänomen der Staatsverschuldung wirksam begegnen zu können, hat der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen in seinen mittelfristigen Budgetvorschauen empfohlen, die Staatsschuld auf mittlere Sicht nicht mehr als das nominelle Bruttonatio-nalprodukt zu steigern.

Die Frage, wie weit sich der Bund überhaupt verschulden soll, hat nach Meinung des Verfassers des „Finanzbericht des Bundes“ nur akademischen Charakter, weil sich der Bund nur beschränkt verschulden kann. Sein Verschuldungsspielraum wird durch die Struktur der Finanzierungsmärkte und die Statuten der Nationalbank begrenzt. Aufgabe der Budgetpolitik muß es daher sein, nicht nur zu überlegen, ob ein Defizit wirtschaftlich vertretbar ist, sondern stets auch, ob es unter den gegebenen Bedingungen noch finanziert werden kann.

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