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Gerangel um jeden Bürger

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Der geltende Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist ungerecht, eine Reform dringend erforderlich. Darüber besteht weitgehender Konsens. Aber obwohl es nicht an Alternativvorschlägen mangelt, hat man sich bis heute zu keiner Entscheidung durchringen können. Um eine Reform des jetzigen Systems wird man nicht herumkommen.

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Der geltende Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist ungerecht, eine Reform dringend erforderlich. Darüber besteht weitgehender Konsens. Aber obwohl es nicht an Alternativvorschlägen mangelt, hat man sich bis heute zu keiner Entscheidung durchringen können. Um eine Reform des jetzigen Systems wird man nicht herumkommen.

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Die Finanznot der österreichischen Gemeinden steht der des Bundes kaum nach. Der Gesamtschuldenstand der Kommunen belief sich 1982 auf rund 80 Milliarden Schilling. „Etwa jede zwanzigste Gemeinde ist praktisch konkursreif“, kommentiert die Kommunalpolitische Vereinigung der ÖVP trocken die triste Finanzlage.

Zur Illustration: Wollten die Gemeinden ihre Finanzschuld begleichen, müßten sie jeweils ihr gesamtes Jahresbudget ausschließlich zur Schuldentilgung verwenden.

Aber auch so reißt der jährliche Zinsendienst ein gewaltiges Loch in die Finanzgebarung der rund 2300 Gemeinden. Parallel dazu ist der Zuwachs der Gemeindeeinnahmen im Vergleich zu anderen Gebietskörperschaften weit zurückgeblieben. Zwischen 1973 und 1980 stiegen die Einnahmen des Bundes aus Abgaben um 104 Pro-

zent, die der Bundesländer um 96 Prozent, die der Gemeinden aber nur um 92 Prozent.

Sinkende Einnahmen, wachsender Schuldendienst — diese Spirale macht den finanziellen Spielraum der Gemeinden immer enger. Neue Investitionen können, wenn überhaupt, nur über den Weg neuer Kredite getätigt werden.

Wie wichtig aber die kommunalen Investitionen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, insbesondere auch für die Beschäftigungspolitik sind, geht daraus hervor, daß 55 Prozent der öffentlichen Investitionstätigkeit von den Gemeinden geleistet wird.

Nunmehr müssen die von Finanzierungsängsten geplagten Bürgermeister eine weitere Aushöhlung ihrer Budgetpotenz fürchten:

In der Regierungserklärung des Kabinetts Sinowatz/Steger wird die Abschaffung der Lohnsummen- und der Gewerbesteuer angekündigt. Beide Abgaben schlugen sich bisher direkt auf der Einnahmenseite der kommunalen Budgets nieder und machen jährlich immerhin rund zehn Milliarden Schilling aus.

Zwar verspricht die Regierung als Ersatz für diesen Steuerausfall „stärker als bisher“ im Zuge des Finanzausgleichs „auf Bedürfnisse und Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden Rücksicht zu nehmen“. Für viele Gemeinden ist dieses Versprechen aber nur ein schwacher Trost

Alle fünf Jahre wird die Aufteilung der allgemeinen Steuern und Abgaben zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu festgelegt. Der Verteilungsschlüssel dieses Finanzausgleichs richtet sich im wesentlichen nach der jeweiligen Bevölkerungszahl. Rund sechzig Prozent der Gemeindebudgets bestehen aus den Mitteln des Finanzausgleichs.

Allerdings werden kleinere Gemeinden im Vergleich zu größe-

ren wesentlich schlechter bedient. Eine Stadt mit 50.000 Einwohnern darf sich zum Beispiel über doppelt so viele pro-Kopf-Gelder aus dem Finanzausgleichstopf freuen wie eine Gemeinde, die weniger als 1.000 Seelen zählt.

Das hat dazu geführt, daß das Spannungsverhältnis zwischen der reichsten und der ärmsten Gemeinde heute 1:18 beträgt.

Die unproportionale Bewertung der Bürger geht von der Annahme aus, daß größere Gemeinden zur Erfüllung ihrer Aufgaben einen höheren Aufwand haben. In den letzten Jahren waren aber gerade die kleinen, vor allem die rund um die Ballungszentren gelegenen Gemeinden zu kostspieligen infrastrukturellen Investitionen gezwungen, um einerseits die Abwanderung der Einheimischen zu stoppen und andererseits für Zweitwohnsitzer attraktiv zu werden.

Das macht auch verständlich, daß vor und nach der Volkszählung 1981 zwischen einzelnen Gemeinden um jeden Bürger gekämpft wurde.

Ein Beispiel: die Aberkennung des ordentlichen Wohnsitzes von 129 Personen durch das Statistische Zentralamt beschert der Marktgemeinde Gablitz im Wienerwald einen Einnahmenausfall in Millionenhöhe. Der Bürgermeister von Gablitz, Franz Brandfellner, hat deshalb den Verfassungsgerichtshof angerufen, da seiner Meinung nach das alte Finanzausgleichsgesetz die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz verletze.

Auch ohne Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes werden die Politiker bei den Finanzausgleichsverhandlungen im Herbst nicht darum herumkommen, eine Reform der geltenden Bestimmungen anzugehen. Dabei bietet sich als Lösung der sogenannte zweistufige Finanzausgleich an: in einer ersten Phase sind danach für alle österreichischen Gemeinden bestimmte Gelder nach Einwohnerzahl der neun Bundesländer in neun Töpfe auszuteilen. In der zweiten Phase wird dann zwischen Ländern und Gemeinden ein Verteilerschlüssel ausgearbeitet, wie die Mittel gerechter als bisher zu verteilen sind.

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