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Immer wieder: Die Frage nach Jesus

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Hier gibt uns der in Sachbüchern so rührige Verlag Kindler ein sehr „unebenes“ Buch, das beim Rezensenten sogleich die Frage auf warf: „Wer ist eigentlich der Herausgeber und Kompilator, Herr Strube?“ Ein zünftiger Theologe oder Historiker? Nun, auch das wäre möglich. Da fragt es sich aber, warum er uns dann den geradezu fossilen Beitrag von David Friedrich Strauß vorsetzt, der zur Zeit seines Erscheinens vor fast 140 Jahren als Sensation gewertet werden konnte, heute aber nur noch als strittiges Stück Bibelkritik aus fast grauer Vergangenheit angesehen wird. Ebensogut hätte man uns Drews oder Renen servieren können, den der Herausgeber in geradezu entzückender Untertreibung einen „nicht sehr kirchentreuen Katholiken“ nennt.

Die Kritik an der Kritik von Strauß erhalten wir selbstverständlich ebensowenig als die Kritik an Rudolf Ottos „Skizze des Lebens Jesu“, die 1902 erschienen ist. Rudolf Otto, der sicherlich ein bedeutender Theologe war — Das Heilige ist ein Buch, das die Zeiten überdauert —, war überzeugt, daß in den Urevan-gelien Christus als physischer Sohn

Josephs angesehen wurde, und seine Hinweise auf die Schrift werden den arglosen Leser höchstwahrscheinlich überzeugen. Doch seine Argumente sind intelligenten Seminaristen bekannt, und sie wissen darauf längst die Antwort. Von Professor Bundy hören wir mit Genugtuung, daß Christus kein Psychopath war und das ist gut so, denn es ist die Mode, das Gegenteil zu behaupten. Auch der Beitrag Albert Schweitzers ist heute nur noch historische Reminiszenz aus dem Jahre 1906, doch Schweitzer, der unzweifelhaft eine theologische Begabung hatte, hängte schließlich diese Aktivität an den Nagel und wandte sich der Medizin, der Musik und der Mission zu.

Größeren Wert, weil voll Weisheit und tieferer Einsichten, haben zwei Vorträge von Professor Cadbury (Harvard), die 1963 gehalten wurden. Dieser Theologe erklärt uns klipp und klar, einen seiner eigenen Lehrer zitierend, daß die „vorschnell eingegangene Ehe zwischen der Geschichtsforschung und der Teologie so schnell wie möglich wieder geschieden werden müsse.“ Der historische Jesus im Sinne des Historiographen ist uns für immer verschwunden. Wertvoll ist auch der Beitrag von Professor Herbert Braun, der einfachen Gemütern den Star sticht und ihnen sehr schön beweist, daß die Grundkonzeption Christi und die der essenischen Qumram-Sekte ganz und gar nicht die gleiche seien. Professor Vögtle (wahrscheinlich der einzige katholische Christ in der Runde) gibt uns eine gelungene Analyse der Wunder Christi, die sich markant von den anderen Wundergeschichten der Antike abheben.

Sehr gut sind auch die drei Aufsätze über den „Prozeß Jesu“, die sich mit der Schuldfrage bei der Hinrichtung Christi beschäftigen. (Schade, daß Professor Blinzler, der diese Diskussion auslöste, hier nicht auch zu Worte kommt.) Interessant ist die Frage nur in Hinsicht auf die Anschuldigung des Gottesmordes, die jahrhundertelang gegen „die Juden“ als Kollektiv erhoben wurde — und wird. Beherzigend sind die Schlußworte Karl Fueters: „Christus ist nicht gestorben, um die Sünden der Römer und Juden aufzudecken, sondern die der ganzen Menschheit. Golgotha ist das Wahrzeichen dafür, daß die Menschheit die schlimmsten Verbrecher erträgt und duldet, den sündlos Gütigen und Hilfsbereiten aber ausstößt.“ Glänzend ist die Antrittsvorlesung Martin Hengeis: „War Jesus Revolutionär?“ Man solle, sagt er, auf diesen Ausdruck heute verzichten, „da das Wort Revolution auch im Munde der Theologen so wohlfeil und schillernd geworden ist“. (Gespert vom Autor.) Ein langer Vortrag Professor Ernst Käsemanns (ein etwas kritischer Schüler Bultmanns) beschließt den zum Teil doch recht interessanten Band.

Ob wir hier den „historischen“ Christus bekommen. Sicher 'nicht, aber den gibt uns integral niemand mehr. Als Person ruft uns jedoch auch die nicht wirklich „faßbare“ Person des Heilands zur Entscheidung auf. Wenn wir die Heilige Schrift (auch noch so bibelkritisch) akzeptieren, begegnen wir einer Persönlichkeit, die entweder ein Gaukler, ein Narr oder eben tatsächlich der Sohn Gottes ist.

WER WAR JESUS VON NAZA-RETH? (Die Erforschung einer historischen Gestalt.) Herausgegeben von Gerhard Strub e (Kindler, München 1972), kartoniert, 304 Seiten, DM 19.80.

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