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In Zukunft: Nomaden

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„Der .steirische herbst' lebte mehr vom Mythos als von der Wirklich- keit." Intendant Horst Gerhard Haberl will Neues riskieren, jene Innovationsschübe unter den Vor- zeichen der neunziger Jahre leisten, die es früher einmal gegeben hat.

Die Idee des „herbstes" sei es, „Werkstatt zu sein, ein Ort, an dem Dinge möglich sind, die anderswo nicht möglich sind." Dieses Werk- stattkonzept sieht Haberl als dra- matisierten Widerstand gegen alles,was Festival ist, neue Ideen

sind Abenteuer, Sichtbarkeit gei- stiger Mobilität. „Der ,steirische herbst' dürfte nicht mehr und nicht weniger werden als ein Innovator, ein Impulsgeber. Wenn mir das nicht gelingt, habe ich versagt." Der „herbst" soll Auftraggeberund Pro- duzent von Uraufführungen sein. Signifikant stellt Haberl deshalb an die Spitze des diesjährigen Pro- grammes das Musikprotokoll, das dieser Maxime gehorcht.

Das Programm stellt sich kon- zentrierter dar, im Sinne eines „ Ge- sundschrumpfens" wurde das „Kraut- und Rüben-Gebilde" ab- gebaut. Haberl will aussondern, was der Idee im Wege steht, sich auf ineinandergreifende Themen kon- zentrieren, auf übergreifende Schwerpunkte, die sich dem Leit- gedanken einer „nomadisierenden Sensibilität" unterordnen.

Diese „nomadisierende Sensibi- lität" bleibt trotz erläuternder Essays und Programmvorworte kryptisch, wird jedoch als Leitbe- griff Haberls Intendantenzeit bis 1992 begleiten. Hinter der „Noma- dologie" steht die kritische Ausein- andersetzung mit der Mobilität. Die Isoliertheit der Kunst von politi- schen und gesellschaftlichen Ereig- nissen war der Ansatz und führte zum Begriff „Nomadologie" im Gegensatz zum Seßhaft-Sein.

„Nomadologie meint den dritten Weg jenseits von Avantgarde und Postmoderne. Kunst, die ignoriert, was mit unserer Erde passiert, die ein Dasein fristet jenseits jener Wirklichkeit, die tatsächlich be-

rührt, kann keine Zukunft haben. Es gilt, diese Stummheit der Post- moderne zu überwinden." Sensibi- lität, die Wirklichkeit wahrzuneh- men, ist gefordert.

Nomaden sind nicht seßhaft. Ver- anstaltungen wie eine „Mobile Halle", ein „Mobiler Himmel" und ein „Mobiler Happen" tragen dem Rechnung. Auch die dem Nicht- Nomaden geläufige Mobilität setz- te Haberl um, indem er das alte Direktorium, einen „ Wollsiegelver- teilerverein", abschaffte und sich stattdessen mit einem jungen Team umgab (Philosoph Strasser, Schöp- fer der „nomadisierenden Sensibi- lität", Literaturkritiker Werner Krause, Architekturstudent Orhan Kipcak). Diese kleine Gruppe soll eine Unternehmensphilosophie er- arbeiten, ein „nomadologisches Denken", das Kunst, Wissenschaft und Religion nicht separiert son- dern im Zusammenhang sieht.

Um Zusammenhänge, um erd- verbundene Realität geht es auch im Finanziellen. „Der ,steirische herbst' muß aufpassen, daß er nicht ausgehungert wird." Die Probleme sieht Haberl historisch bedingt. Ur- sprünglich war es Aufgabe des „herbstes", kulturelle Institutionen

aufeinander abzustimmen und ein „gemeinsames Fest zu veranstal- ten. Diese Aufgabe besteht nicht mehr. Heute gibt es ein selbständi- ges Programm des .steirischen herbstes', aber das gemeinsame Budget für Institutionen wie das Forum Stadtpark, das Deutsch- landsberger Jugendmusikfest und andere sind geblieben."

„Diese Altlasten sollen aus mei- nem Budget herausgenommen wer- den. Diesen Unternehmen werden damit notwendige Subventionen geleistet, aber ich sehe mich als In- tendant mißbraucht, hier den ver- längerten Arm des Kulturreferates zu spielen." Vom Budget 1990 blei- ben Haberl 5,5 Millionen für das eigene Programm, etwa 14 Millio- nen beträgt das Gesamtbudget, 8,5 Millionen stellt das Land zur Ver- fügung, „enttäuschende" vier Mil- lionen der Bund, wie es Landes- hauptmannstellvertreter Kurt Jungwirth formuliert. Helmut Strobl, Kulturstadtrat von Graz, kann nur eine Million direkt flüssig machen. Der Anteil privater Geld- geber liegt bei nicht einmal zehn Prozent.

Die schlechte finanzielle Situa- tion ist verwunderlich, denn alle

sind sich einig über die Bedeutung des „herb- stes". „Die Bereitschaft der verantwortlichen Politiker ist groß, gera- de die Strobls, aber er sitzt in der falschen Par- tei", meint Haberl, der entpolitisieren, alle Par- teien einbeziehen will.

Die Vermutung kommt auf, daß jene hinter den Verantwort- lichen etwas gegen ein Minderheitenprogramm haben, gegen eine Aus- einandersetzung mit aktueller Kunst, die oft genug unangenehme Diskussionen mit der Grazer Bevölkerung provozierte. „DieAngst, Stimmen zu verlieren, ist weniger groß als die Ignoranz."

Haberls Aussage trifft sich mit jener Strobls auf die Frage nach der poli- tischen Dimension: „Es gibt schon Versuche, den ,herbst' parteipoli- tisch zu nutzen. Viele sind künstle- risch desinteressiert, erst wenn es zu einer Provokation kommt, ist er das Thema aller. Es gibt eine Getto- Strategie quer durch die Parteien - der .herbst' ist schon in Ordnung, aber macht ihn bitteschön dort, wo es niemanden stört." Der politische Druck komme eher unbewußt in der Budgetierung zum Ausdruck. Kunst lasse sich eben nicht rech- nen.

Eine sichere Investition scheint die klassische Musik in Form des Festivals „Styriarte". Haberl ist verärgert über die weitere Zersplit- terung des ohnehin knappen Kul- turbudgets, der Zuschuß für die „Styriarte" wurde in kurzer Zeit von 450.000 auf sechs Millionen erhöht. Das Land müsse überlegen, was es sich leisten könne. Strobl meint, das Interesse an der „Sty- riarte" sei fremdenverkehrs- nicht kulturpolitisch.

Haberl will jedenfalls „dieser Lochfüllung, die man immer mit Kultur betreibt", keine Füllungen entgegensetzen, sondern neue Lö- cher. „Insoferne bin ich eine Fehl- besetzung."

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