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Kirche auf Horchstation

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Eine zwanglose Begegnung mit offener Diskussion, ein Meinungsaustausch ohne den Druck, zu einem bestimmten Ergebnis zu kommen, war angesagt, als die Bischöfe von Innsbruck und Bozen-Brixen, Stecher und Egger, am 21. September Tiroler Autoren in die Brixener Cusanus-Akademie einluden.„Kirche und Literatur" war das Symposium überschrieben; wie tief die Kluft zwischen beiden ist, zeigte am deutlichsten das Fembleiben der wichtigsten Autoren. Die Ablehnung von Felix Mittererund Hans Haid stand schon sehr bald fest, ein anderer bekannter Autor ließ nur einen Satz vernehmen: „Literatur und Kirche sind wie Hund und Katz."

Bei den anwesenden Autoren dominierte herbe Kritik. Josef Feichtin-ger, der seine Beziehung zur Kirche als „zornige Zuneigung" beschrieb, „wobei freilich die Zuneigung mit zunehmender Einsicht abzunehmen droht", stellte am Schluß seines State-mentes fest:„Es nimmt nicht wunder, daß emstzunehmende Literatur das Haus voll Glorie entweder übersieht oder Steine gegen seine renovierte Fassade wirft. Die Kirche - ich meine die Pyramide einst tonsurgezeichneter Köpfe - ist entweder Luft oder Watschenmann."

Die Gemeinplätze der Kirchenkritik kamen manchmal auch recht undifferenziert zu Wort. Ein Vertreter deritalienischsprachigenAutorenSüd-tirols hielt ein absolut überflüssiges Referat zur Situation dieser Gruppe und trug keinen Satz zum Thema bei, der Vertreter der ladinischen Autoren war leider verhindert. Eine Mundartdichterin sorgte für die heitere Variante der Kritik.

Die hauptsächlich als Kinderbuchautorin bekannte Rosmarie Thüminger, selbst nicht Mitglied der katholischen Kirche, plädierte angesichts der drängenden Probleme der Menschheit eindringlich für eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Weltanschauungen und den Dialog mit der Kirche. Mit der Stellung der Frau und in der Auffassung von Sexualität freilich kann es für sie keine Verständigung mit der

Kirche geben. Sie will aber Kirche nicht einfach Kirche sein lassen, denn „was die Kirche nach außen vertritt als auch wie sie sich im Inneren verhält, wirkt sich auf das geistige Klima in der Gesellschaft aus".

Der Kritik an der Kirche setzte Bischof Stecher keine billige Beschwichtigung entgegen. Schon sein Eröffnungsreferat mit dem Plädoyer für eine „Kirche auf der Horchstation in einer anders gewordenen Welt" hatte aufhorchen lassen. Durch die Bibliothek des Vaters, eines Germanisten, hat Stecher schon als Jugendlicher die Erfahrung gemacht, daß Literatur „für einen gläubigen Menschen, der auf dem Festland seiner weltanschaulichen Position lebt, so etwas ist wie ein Kauffahrer, der von fernen Ufern kommt und mit Schätzen beladen ist". Und wahrscheinlich gibt es nicht viele Bischöfe, die mit Kindern im Unterricht Brecht-Gedichte gelesen haben.

Bischof Stecher zitierte einen Satz von Peter Handke, der eine längere Auseinandersetzung verdient hätte:

„Sich in seiner Unerlöstheit geduldig und sachlich zu beschreiben, ist schon Religion." Die Diskussion kreiste jedoch um allzu sekundäre Fragen, harte Kritik führte im Gegenzug zu gewiß ehrlichen und gutgemeinten, aber peinlichen Bekenntnissen.

Gegen Ende kam das Gespräch unter der Leitung des Innsbrucker Germanisten Walter Methlagl auf ein zentrales Thema: den Gegensatz zwischen dem Wort der Kirche, das sich auf eine Autorität beruft, und dem freien schöpferischen Wort der Literatur. Der Schriftsteller kann sich auf keine höhere Instanz berufen, sondern sich nur auf sich selbst verlassen. Das ist, wie ein Teilnehmer formulierte, auch seine Tragik, aber es ist menschlicher.

Wie oft, wenn es um die Kirche geht, war zu wenig von der Religion die Rede. „Weil ich ein religiöser Mensch bin, trete ich aus der Kirche aus" - diese mehrmals zitierte Aussage Norbert C. Käsers hätte Ausgangspunkt sein können für die Frage, warum die Kirche auch jenen Schriftstellern keine geistige und spirituelle Heimat sein kann, die sich durchaus mit Religion beschäftigen. Friedrich Schlegel war überzeugt, daß „nur derjenige kann ein Künstler sein, welcher eine eigene Religion, eine originelle Ansicht des Unendlichen hat". Welche religiösen Impulse vermag die Kirche einem Schriftsteller zu geben?

Vier Nachmittagsstunden sind von Haus aus zu kurz, um solche Fragen mit etwa hundert Teilnehmern zu erörtern. Und ein kirchliches Harmoniebedürfnis hat am Schluß auch manche Dissonanzen allzu eilig zugedeckt. Dennoch war die Tagung ein beachtliches Experiment. Es ist gelungen, weil man offen miteinander geredet hat. Es ist mißglückt, weil die bedeutenden Schriftsteller ferngeblieben sind. Und vielleicht sollte man nicht nur jeden einladen, der sich für einen Schriftsteller hält, sondern auch Literaturwissenschaftler und Theologen, die etwas von der Sache verstehen.

Das Gemeinsame zwischen Kunsterlebnis und religiöser Erfahrung, zwischen dem Erleben des „Schönen" und des „Heiligen", müßte es auch bei unterschiedlichster Deutung ermöglichen, daß Kirche und Literatur sich gegenseitig etwas zu sagen haben. Für Simone Weil war „das Schöne der Experimentalbeweis, daß die Inkarnation möglich ist".

Die Gemeinsamkeit der Krise liegt in der Segmentierung unseres Lebenszusammenhanges, die der Kunst wie der Kirche ihren abgegrenzten Bereich zuweist und sie unverbindlich weiden läßt. Oder in Abwandlung eines Satzes von Hermann Broch: „Religion ist Religion, Geschäft ist Geschäft und Krieg ist Krieg und Kunst ist Kunst." Sich nicht abdrängen lassen in ein Reservat, wo spezifische Bedürfnisse einer Minderheit befriedigt werden, müßte das erste gemeinsame Interesse sein von Kirche und Literatur. Ansonsten wird nicht einmal ihr Gespräch mehr wahrgenommen.

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