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Kirche und Kunst -neue Partnerschaft

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Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, repräsentiert durch seinen Vorsitzenden, den bayrischen Kultusminister Hans Maier, hatte für 26. und 27. März etwa hundert Persönlichkeiten aus dem kulturellen Leben zur Diskussion über die Thematik „Kirche, Wirklichkeit und Kunst“ nach Bonn geladen. Die Gespräche zeichneten sich durch Offenheit und große Lebendigkeit aus.

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Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, repräsentiert durch seinen Vorsitzenden, den bayrischen Kultusminister Hans Maier, hatte für 26. und 27. März etwa hundert Persönlichkeiten aus dem kulturellen Leben zur Diskussion über die Thematik „Kirche, Wirklichkeit und Kunst“ nach Bonn geladen. Die Gespräche zeichneten sich durch Offenheit und große Lebendigkeit aus.

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Was Prälat Bernhard Hanssler für die Literatur formulierte, gilt entsprechend für die anderen Künste: „Die Kirche pfeift auf Literatur, die Literatur pfeift auf Kirche. Sie erweisen sich nicht einmal mehr die Ehre gegenseitiger Gegnerschaft.“ Und weiter: „Der Katholizismus ist literarisch tölpelhaft, einfältig, primitiv, ahnungslos.“

Uber die Gründe dieser Situation, ihre Verwurzelung in der Geschichte, war man nicht mehr so einig. Herbert Rosendorfer meinte (warum man gerade ihn - bei soviel Prominenz -aufgefordert hatte, diese Gesprächsanregung zu geben, ist unerfindlich), die deutsche Literatur sei seit dem 18. Jahrhundert protestantisch. Das wurde vom Plenum für das 18. und 19. Jahrhundert mit Ausnahmen akzeptiert, auf keinen Fall aber für die Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg, wo Autoren wie Boll, Grass, Bachmann, Handke aus dem katholischen Bereich kommen - auch wenn sie daraus ausgebrochen sind.

Heinrich Boll betonte mehrmals, daß er eine bestimmte Phase der Polemik gegen die Kirche als abgeschlossen betrachte. „Der Hahn ist gerupft“ - womit die offizielle Kirche der Bundesrepublik gemeint war. „Jetzt ist etwas anderes im Gang.“ Was Boll für wichtig hält: das Gespräch zwischen Autoren und Katholiken, die eine starke Minderheit im Lande darstellen. Und dann direkt ins Zentrum vorstoßend: „Sehr viele Menschen sind religionsbedürftig, sehr viele sind christusbedürftig -dieses Bedürfnis wird von den Kirchen nicht erfüllt, und von der katholischen am wenigsten.“

Ganz entschieden widersprach Boll auch der These von Rosendorfer: „Die Erbauung ist langweilig, die Kritik ist unterhaltend ... Die Kirche ist eine Ordnung, die Literatur ist Unordnung.“ Dagegen Boll: „Wir Literaten schaffen Ordnung, so wie Maler Ordnung schaffen. Es geht uns darum, das Chaos zu bändigen.“

Wenn es Aufgabe der Literatur ist, das Chaos zu bändigen, dann muß die Kirche auf sie hören. Bernhard Hanssier: „Die Kirche braucht die Literatur bitter notwendig, weil sie Kir-phe des Wortes ist... Wie soll die Kirche die Situation der Welt ermitteln, wenn nicht durch die Literatur? Kirche braucht Literatur gerade heute, wenn sie Ernst machen will mit dem Angebot des Zweiten Vatika-nums, sich zu solidarisieren mit den Anliegen des Menschen.“ Das bedeutet allerdings, daß sie jedem Triumphalismus abschwört.

Allerdings braucht nicht nur die Kirche die Literatur, die Literatur bedarf auch der Kirche. „Die Krise der Kirche ist ein partiales Feld einer universalen Krise.“ Wer ist denn der Partner der Literatur? Doch nicht der Verleger oder der Kollege oder der Rezensent! Ihr Partner ist der Mensch, und damit die Kirche, wenn sie Anwalt des Menschen ist.

Denn alle Literatur ist Botschaft vom Kreuz. Sie ist damit ein Ärgernis: so wie die Kirche, die es nur gibt zwischen Stall und Golgatha, falls sie sich selbst ernst nimmt.

Literatur wirft die Frage der Schuld auf. Diese Frage aber läßt sich nur beantworten, wenn die Vergebung das letzte Wort hat. Literatur stellt eine in sich geschlossene Welt dar. Da hinein spricht Kirche von Transzendenz. Sie bricht die Geschlossenheit der Immanenz auf.

Diesem von Bernhard Hanssier engagiert vertretenen Standpunkt widersprach nur Wilhelm Gössmann, der den Graben zwischen Literatur und Kirche offen halten wollte. Kunst sei - mindestens seit der Aufklärung - ein Plädoyer für Freiheit, und das könne und wolle Kirche anscheinend nicht mitmachen. Ihr gehe es darum, die Kunst dienstbar zu machen.

Hier hakte Joseph Beuys ein. Auch er macht sich keine Illusionen über die Kirche. Aber er sprach vom Freiheitsimpuls, der durch Christus gekommen ist. „Wenn wir Christen diesen christologischen Ansatz ernst nehmen, hat das Konsequenzen. Es geht um die Frage nach dem politischen Einsatz der Christen. Wir können uns an der sozialen Frage nicht so vorbeidrücken wie bisher. Wir dürfen aber auch nicht mehr so zersplittert arbeiten wie bisher. Ich bin nur deswegen hierher gekommen, um in Kontakt zu bleiben mit dieser Institution Kirche. Ich sehe einer hoffnungsvollen Zusammenarbeit entgegen.“

Prälat Hanssier sprach es zum Schluß deutlich aus: Der gemeinsame christologische Ansatz von Boll und Beuys war das eigentliche Ereignis der Tagung. Wenn das Gespräch diesen Tiefgang erreicht, dann kann es zu einer neuen Partnerschaft kommen, nicht zu einem In-Dienst-Neh-men, sondern zu einem Hören des einen auf den anderen, und zum gemeinsamen Eintreten für den Menschen.

Viele Diskussionsbeiträge machten deutlich, daß der Weg dahin noch weit ist. Georg Meistermann verlangte die Wahrhaftigkeit des Sinnlichen, mithin auch der Mittel und Äußerungen. Dafür müßte die Kirche wieder Augen bekommen und sich hinauswagen in die Auseinandersetzung mit der Kunst unserer Zeit. Der Bildhauer Emil Wächter wies -ebenso wie Pater Schade - auf die „Erosion des Bilddenkens in unserer Zeit infolge der technischen Rationalisierung“ hin. Es gelte, wieder die Quellen zu erschließen - für ihn ist das die Bilderwelt der Bibel, der „Mutter der Bilder“.

Im Grunde geht es also darum, ob die Kirche mit ihrer eigenen Botschaft ernst macht. „Eine Kirche, die sich für den Menschen engagiert, die sich durch dick und dünn zum Menschen bekennt, könnte wieder eine Heimat für den Menschen werden“ (Bernhard Hanssier).

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