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Ein Dichter als Narr in Christo ?

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Er schrieb, um seinen ethischen Prinzipien Geltung zu verschaffen: als Vertreter der „verlorenen Generation”, als „Gewissen Deutschlands”. Ein Rückblick auf sein Werk zeigt menschliche Größe.

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Er schrieb, um seinen ethischen Prinzipien Geltung zu verschaffen: als Vertreter der „verlorenen Generation”, als „Gewissen Deutschlands”. Ein Rückblick auf sein Werk zeigt menschliche Größe.

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„Wo warst du, Adam?” Bereits in diesem Titel des 1951 erschienenen Romans von Heinrich Boll, wird deutlich, daß hier ein Schriftsteller gewillt ist, das Thema der zeitgeschichtlichen und persönlichen Schuld bis ins Religiöse und Metaphysische weiterzuverf olgen. Hat er doch diesen Titel den Tag-und Nachtbüchern Theodor Haeckers aus dem Jahr 1940 entnommen, wo Adams Antwort: „Ich war im Weltkrieg” als „Alibi” vor Gott dienen soll. In solcher Sicht weist die Schuld an der Weltkatastrophe des Zweiten Weltkriegs über alle Geschichtsmechanismen weit hinaus; denn es ist das Göttliche in uns, das wir beleidigt und geschändet haben.

Mit diesem Roman hat der damals 34jährige Kölner Heinrich Boll nicht nur ein bedeutendes Werk der „Trümmerliteratur” geschaffen, sondern auch jenes Ethos gefunden, das für sein ganzes Lebenswerk entscheidend werden sollte: Die Verschmelzung von gesellschaftskritischen und religiösen Impulsen. Alles Absurde, das da geschehen ist, muß uns zur Triebkraft der Läuterung werden. Auf sie hinzuarbeiten ist Auftrag des Schriftstellers. Trotz aller entsetzlichen Geschehnisse kann er Hoffnung, ja Zuversicht erwecken, weil es im Wesen des Christentums liegt, tragisches Wissen in Trost zu verwandeln.

Diesem kathartischen Duktus hat Boll die Treue gehalten, wie denn überhaupt die Treue zu seinen Freunden, die Hilfsbereitschaft gegenüber allen Hilfsbedürftigen und Entrechteten in Ost und West ihn so sehr geprägt hat, daß ihm — wie man .in Bolls Bekanntenkreis sagte - ein beim Menschen kaum anzutreffender „Hundeblick der Treue” zu eigen war. Aber auch noch in sein Lächeln kam ein schmerzücher Zug.

Gewiß haben seine vier Verwundungen aus dem Weltkrieg, der materiell angespannte Existenzkampf des Heimkehrers, des Familienvaters mit drei Kindern und nicht zuletzt jene „Trauerarbeit”, welche ihm die Erinnerung seiner Generation — bei uns nennt man sie die „verlorene” — auferlegt hat, dazu beigetragen, daß seine Lebenskraft bereits seit einigen Jahren merklich geschwächt war. Am 16. Juli 1985 ist er wenige Stunden nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gestorben.

Wie konnte es dazu kommen, daß Boll, in katholischen Ländern als moderner christlicher Dichter begrüßt, in der: Literaturge-schichtsschreibüng kommunistischer Staaten mit einemehrenden Platz bedacht wurde?

Wieso rühmte man ihn als christlichen Fürsprecher der Ehe und Familie und deren moralischer bzw. religiöser Kategorien, obwohl Boll die Kämpfer im modernen Privatkrieg des Terrorismus, der ja ebenfalls familienzer-störerisch Witwen und Waisen hinterläßt, mit viel einfühlender Nachsicht behandelt hat?

Ist Boll einer Versuchung erlegen, als er den erlebnisvermitteln-den evokativen Selbstwert der Dichtung allmählich hintansetzte und zuletzt eine agitatorische Rührigkeit bestimmend werden ließ, manichäische Modelle, Schwarz-Weiß-Reduktionen, ungeeignet der Buntheit unserer Gesellschaft gerecht zu werden?

In seiner Nobelpreisrede hat Heinrich Boll selber den Manichä-ismus - er gebrauchte diesen Ausdruck! — angeprangert und die Poesie als schwebende Hängebrücke über alle Abgründe gerühmt. War es also der enorme Tatwille des Moralisten und Propheten, als den ihn jetzt die ganze Welt respektiert, der ihn über manche ästhetischen Mängel bei sich selbst hinwegsehen ließ und seinen Blick trübte? War der Christ Heinrich Boll ein geistiger Bombenwerfer, als den ihn bundesdeutsche Magazine denunzierten? Oder war er ein geistiger Bombenwerfer just deshalb, weil er urchristliche Gedanken in einer durch Verwaltungsapparaturen getarnten Anarchie des Egoismus wieder erwecken wollte?

Hat er nicht mit bewunderungswürdiger Charakterstärke einer anderen Versuchung widerstanden? Als moderner Schriftsteller weltweit anerkannt, auch in der UdSSR an die Spitze der deutschen Gegenwartsliteratur gestellt, als Katholik in Traditionen tief verwurzelt — wer wäre so wie er berufen gewesen, im staatlich immer erwünschten affirmativen Trompetenton ein Künder deutscher Kultur zu sein und einen weisen Kentauren der Koalition abzugeben?

Aber gerade deshalb, weil er solchen Verlockungen niemals nachgegeben und sich seine Bescheidenheit in Freiheit bewahrt hat, wurde er zum „Gewissen der Nation”.

Wenn auch immer verflochten in die politischen Tagesereignisse, bleibt sein Werk dennoch per-sönlichkeitsgeprägt. So ging es ihm in der ersten Nachkriegszeit darum, in einem „wieder bewohnbaren Land eine bewohnbare Sprache” zu schaffen. Also eine Sprache, welche nach dem hohlen Pathos der Nazizeit, das aufrichtig Gemeinte in einer auf dem Gespräch beruhenden Problembewältigung vermitteln sollte.

Am Ende der fünfziger Jahre verschob sich die Thematik, denn der Wiederaufbau wurde zum Anlaß neuerlicher Verschuldung im Bereiche der Moral, insofern er das Humane und Religiöse nicht ausreichend miteinbezog. Dabei hatte nach Meinung Bolls die „Amtskirche” ein gewaltiges Teil an Mitschuld, denn sie setzte — nach Bolls Auffassung - ihre „Anpassungstaktik” aus der Nazizeit auch im verwaltungswütigen Wohlstandsstaat fort. Mag Anpassung als biologisches Naturprinzip auch das Uberleben erleichtern, so ist es doch just die Nichtanpassung, der Querstand zu den üblen Erfolgsmechanismen, die das Neue Testament immer wieder verlangt — so lautete das Credo Heinrich Bolls. Vielleicht ist es Bolls bedeutendste Tat, den Zusammenhang zwischen Kreuz und Demokratie aufgezeigt zu haben. Während der

Milieukatholizismus zumeist unter autoritären Systemen sein Gedeihen gesucht hat, gibt Boll zu verstehen, daß Demokratie und Christentum viel enger zusammengehören. Denn Demokratie wie Christentum können ihren Wesenskern erst dann entfalten, wenn sie sich in ihrer Verteidigung dem Gegner nicht anverwandeln, sondern darauf setzen, daß ihre Opfertat wirksamer ist als die Gewaltmethoden und Rücksichtslosigkeiten der Umwelt. Von hier aus ist das absonderliche Verhalten Bolls in der Baader-Meinhof-Affaire zu sehen.

Bundespräsident Richard von Weizäcker apostrophierte in einem Trauertelegramm Heinrich Boll als „geistigen Repräsentanten Deutschlands”. Und tatsächlich vereinigte Heinrich Boll Züge des Michael Kohlhaas mit jenen eines deutschen Protestanten vom Geblüt Martin Luthers, der sagt, ihm müsse erst so richtig die Galle kommen, wenn ihm die Worte aus der Feder fließen sollen. Und nicht zuletzt ist es eine gelegentlich bis zur Sentimentalität reichende Gefühlspalette, die ihm zu schaffen machte und die er dann selber als Clown ironisierte. Aber auch diese romantische Ironie und Clownerie ist nur eine Maske. Dahinter steht der echte Narr in Christo.

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