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Kirchgänger wählen das bequemere Übel

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Dozent Dr. Rockenschaub ist Vorstand der Ignaz-Semelweis-Frauenklinik der Stadt Wien.

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Dozent Dr. Rockenschaub ist Vorstand der Ignaz-Semelweis-Frauenklinik der Stadt Wien.

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Dozent Rockenschaub ließ kürzlich durch eine Rede über Abtreibung und Verhütung aufhorchen. Die FURCHE lud ihn zu einem Beitrag ein. Dazu werden Staatssekretärin Doh-nal und Grit Ebner (Aktion Leben) Stellung nehmen.

Wer sich schon vor 1975 wissenschaftlich durch lange Zeit mit dem Abortusproblem im allgemeinen und in Osterreich im besonderen befaßt hatte, wußte nur allzugenau, daß hier ein soziales Problem größten Ausmaßes von den bestehenden Strafandrohungen durch Kirche und Staat nur verdeckt wurde. Wer das Problem kannte, der kannte auch von hüben und drüben die Pharisäer und deren Phrasen.

Mit einer liberalen gesetzlichen Regelung war zu erwarten, daß die Dinge, die eine scheinheilige Gesellschaft seit rund einem Jahrhundert hinter ihren Paragraphen listig versteckte, in Bewegung gebracht werden konnte. Deswegen habe ich mich für eine neue gesetzliche Regelung eingesetzt.

Ganz typisch ist es jedoch, daß jetzt hüben wie drüben von Fri-stenlösung geredet wird. In dieser Bezeichnung entdeckt sich die ganze Arroganz all derer, die sich einbilden, biologische Probleme durch Gesetze lösen zu können — sei es durch strenge, sei es durch liberale.

Vom biologischen Standpunkt gesehen, hängt die Geburtenrate einer Population davon ab, welches Gefühl über die zu erwartende Zukunft in dieser Population überhand nimmt. Jedenfalls wird die Geburtenrate einer menschlichen Population weder vom gegenwärtigen politischen oder wirtschaftlichen Klima bestimmt, noch davon, welche offiziellen und offiziösen Bedenken gegen eine Geburtenregelung geäußert werden.

Die Geburtenregelung hatte und hat in allen Populationen ihre Eigengesetzlichkeit. Dort, wo die Geburtenregelung aufhört, fängt die Bevölkerungsregelung an. Dafür wußte der homo sapiens allerdings bisher nichts anderes einzusetzen als Hunger, Krieg und Seuchen. Mit seinen ABC-Waffenarsenalen ist er darüber hinaus heute in der Lage, diesen Mechanismus jederzeit ins Katastrophale zu steigern.

Von diesen Aussichten, ob für den einzelnen faßbar oder zu erahnen, wird die Geburtenrate bestimmt, und abhängig davon die Geburtenregelung. Es ist eine Illusion, hier die Dinge umkehren zu wollen. Die Geburtenrate ist nur durch die Motivation zum Kind zu beeinflussen und nicht dadurch, daß man die Geburtenregelung verpönt.

Die Methoden der Geburtenregelung bestanden seit altersher in Kindesweglegung, Abortus und Schwangerschaftsverhütung. Es ist z. B. vielen nicht bekannt, welch erschütternd hohe Zahl von Säuglingen man in Osterreich noch vor 150 Jahren bei Pflegemüttern und in den Findelhäusern buchstäblich verrotten ließ.

Der Abortus nahm als Methode zur Geburtenregelung trotz der Verschärfung der staatlichen und kirchlichen Strafen immer mehr zu. Diese nützten deswegen nichts, weil zwei Tatsachen nur allzu offensichtlich waren und sind: Erstens ist der Schwangerschaftsabbruch unter gleichen sozialhygienischen Umständen mit weit weniger Risken verbunden als das Austragen einer Schwangerschaft. Zweitens ist ein Schwangerschaftsabbruch, d. h. ein Abortus, nur dann als artifizi-ell nachweisbar, wenn die betroffenen Personen ihn als solchen zugeben.

Gegenteilige Behauptungen, so vehement sie vorgetragen wurden und werden, liegen als falsche Information zu klar auf der Hand, als daß sie die geringste Wirkung haben könnten. So hat es sogar 1935-1937 in Österreich sicher 100.000 bis 150.000 Schwangerschaftsabbrüche gegeben. Die strenge Handhabung der Gesetze war nur geeignet, den Mantel des Schweigens über die Dinge zu breiten.

Eine Kulisse dieser Art schien und scheint allerdings der Amtskirche unentbehrlich zu sein. Dies ist insofern zu verstehen, als die neuen Verhütungsmittel zwar den Abortus als Methode der Geburtenregelung ablösen sollten, hier aber die katholischen Länder wie Osterreich deswegen nachhinken, weil der Papst die wirksamen Verhütungsmethoden diskreditiert.

Der mehr oder weniger eifrige Anhänger der Kirche, der sich so zwischen zwei Sünden, von denen ihm eine unvermeidbar scheint, gestellt sieht oder auch bewußt stellt, beruhigt sein Gewissen im Falle seines Abortus mit dem Versager der päpstlich autorisierten Verhütungsmethoden. Mit anderen Worten: Der Kirchenanhänger wählt von zwei Übeln das zuerst einmal bequemere.

Das Verhütungsverhalten in Osterreich ist demnach als äußerst enttäuschend zu bezeichnen. Zwei repräsentative Umfragen innerhalb von fünf Jahren haben keine wesentlichen Unterschiede ergeben: Höchstens jede vierte der Frauen von 15 bis 45 Jahren sind motiviert oder zu motivieren, eine Schwangerschaft auszutragen. Mindestens jede vierte läßt es mehr oder weniger „darauf" ankommen. Nur jede zweite betreibt Schwangerschaftsverhütung—zu einem relativ großen Teil allerdings mit wenig verläßlichen Methoden.

Da die Enthaltsamkeit statistisch nicht ins Gewicht fällt, kann sich aus diesen Ergebnissen schon jedermann ableiten, daß es in Österreich mindestens ebenso viele Schwangerschaftsabbrüche wie Geburten geben muß. Selbst bei einer vorsichtigen Kalkulation kommt man auf rund 100.000 Schwangerschaftsabbrüche im Jahr. In Tirol, wo man sich heute noch nach Möglichkeit an mittelalterliche Methoden halten möchte, sind die Verhältnisse nicht besser als in Wien, wo die Sitten nicht so streng zu sein scheinen.

Eine jüngst abgeschlossene Studie über Motivationen zum Schwangerschaftsabbruch hat ergeben, daß die Mehrheit der Frauen, die sich zum Abbruch ihrer Schwangerschaft entschließen, einen Entscheidungsprozeß durchgemacht haben, der sehr sorgenvoll war. Frauen, die ein Abortuserlebnis hinter sich haben, betreiben Schwangerschaftsverhütung wesentlich gewissenhafter als Frauen, die solche Erfahrungen noch nicht gemacht haben.

So betrüblich es ist, dies feststellen zu müssen: Der erst stattgehabte Schwangerschaftsabbruch ist in Osterreich noch immer das wesentliche Einzelereignis, das den Anlaß zur Schwangerschaftsverhütung gibt. Dem wären Methoden anderer Art wohl vorzuziehen. Eine wirksame Änderung ist aber nur zu erreichen, wenn die Motivation zum Kind verstärkt und die Schwangerschaftsverhütung verbessert werden kann. Dies ist nicht die Frage von Gesetzen und Strafen, sondern die der Erziehung.

Dozent Dr. Rockenschaub ist Vorstand der Ignaz-Semelweis-Frauenklinik der Stadt Wien.

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