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Klei Malhe

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Schon die ersten Entstaatlichungsaktionen übertrafen in Frankreich die kühnsten Erwartungen. Doch mit den fallenden Kursen wächst die Frustration der Aktienbesitzer.

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Schon die ersten Entstaatlichungsaktionen übertrafen in Frankreich die kühnsten Erwartungen. Doch mit den fallenden Kursen wächst die Frustration der Aktienbesitzer.

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Noch Ende September konnte sich der französische Minister für Wirtschaft, Finanzen und Privatisierung, Edouard Balladur, über den Erfolg der Privatisierung freuen.

Mittlerweile ist es um die Entstaatlichung eher still geworden, und die „petits porteurs“ — die kleinen Aktionäre — werden in Radiosketchen längst auf „Malheur“ gereimt. Dazwischen lag der „schwarze Montag“ vom 19. Oktober; die Aktien der meisten seit Oktober 1986 privatisierten Unternehmen notieren unter dem Kaufpreis.

Man erinnert sich: Am 2. Juli 1986 wurde ein Gesetz verabschiedet, das der Regierung erlaubte, „diverse wirtschaftliche und soziale Maßnahmen“ zu treffen, darunter auch Regelungen bezüglich der Umwandlung von (ganzem oder mehrheitlichem) Staatseigentum in Privateigentum von 65 namentlich genannten, zum Teil sehr bekannten Unternehmen beziehungsweise ihren Filialbetrieben.

Durch ein Gesetz vom 6. August des Vorjahres wurde die eigentliche Basis für die Privatisierungen gelegt: Bei jedem in Privateigentum überzuführenden Betrieb sollten zehn Prozent des Aktienkapitals den (auch ehemaligen) Angestellten des betreffenden Unternehmens reserviert sein (FURCHE 37/1987), wobei diese für Aktien, die sie über eine festgelegte Zeit hinaus in Besitz behalten, Preisnachlässe von bis zu 20 Prozent beanspruchen können.

Ausdrücklich wurde auch auf die kleinen Sparer Bedacht genommen: Jeder französische Staatsbürger beziehungsweise jede in Frankreich ansässige Person sollte zumindest zehn Aktien pro Betrieb erwerben können. Gratisaktien als staatliche Anerkennung für den Erwerb und eine bestimmte Mindestbehaltdauer (zumeist 18 Monate) sollten Motivation und Investitionsbereitschaft heben.

Die Rechnung ging voll auf. Die im Gesetz definierten Bestimmungen für den Fall, daß sich nicht genug Aktionäre fänden, brauchten nie angewendet zu werden — wohl aber mußte für jeden Privatisierungsvorgang ein eigener Schlüssel festgelegt werden, um die übergroße Nachfrage proportional befriedigen zu können. Schon die erste Uberführung von Staatsbesitz in Privateigentum (das Unternehmen „St. Go-bain“, 6. Oktober 1986) übertraf die kühnsten Erwartungen der Politiker. Und für die acht weiteren Betriebe waren die für Kommentare zur Verfügung stehenden sprachlichen Superlative bald erschöpft.

Am 11. Juli 1987 wurde deshalb schließlich auch das Erste Französische Fernsehen (TF1), das ursprünglich gar nicht dafür vorgesehen war, in Privateigentum übergeführt. Allen Unkenrufen zum Trotz (der Direktor der Anstalt hatte sogar persönlich vor dem Ankauf von Aktien gewarnt) ein nachhaltiger Erfolg: Allein die Nachfrage bei den öffentlichen Verkäufen hatte das Angebot mehr als gedeckt, 415.741 Franzosen wurden Aktionäre von TF 1 — das bedeutet fast dreimal mehr Aktionäre als für irgendeinen französischen Betrieb.

Seit dem 19. Oktober ist die Euphorie freilich einer allgemeinen Verlassenschaften kauft zu Höchstpreisen SchloB Potzneusiedl. Übernahme Wien 0222/5335801.

Verwirrung gewichen. Der kommunistische Präsidentschaftskandidat Lajoinie, dem der Zufall seinen großen TV-Auftritt gerade für den 19. Oktober zugewiesen hatte, erreichte eine außergewöhnlich hohe Einschaltquote.

In ersten Reaktionen wies man in Regierungskreisen zwar darauf hin, daß die Aktienkurse 1981 nach der Wahl Francois Mitterrands noch viel stärker gefallen waren. Mit einem nicht unbedeutenden Unterschied freilich: Damals waren nur „die Reichen“ betroffen gewesen, „die anderen“ eben. Gerade die Bedachtnahme auf die kleinen Sparer bewirkt, daß der Börsenkrach jetzt in sehr vielen Haushalten spürbar wurde — keine eben sehr gute Ausgangsposition für die 1988 anstehenden Präsidentschaftswahlen, die die 1986 begonnene konservative Wende Frankreichs perfekt machen sollen.

Die bereits vorbereitete Privatisierung der Unternehmen UAP (Vereinigte Versicherungen von Paris) und „Matra“ (das fest in der Rüstungsbranche etabliert ist) wurde jedenfalls einstweilen auf Eis gelegt. Nicht etwa, so Minister Balladur, weil er den linken Forderungen nach einem Ende der Privatisierungen nachgäbe, sondern weil Privatisierungen in einer Krisenzeit ohnedies nicht angebracht seien ...

Die Autorin studiert Sprachwissenschaft in Paris.

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