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Kleinkariert und sorglos heiter…

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Österreich renommiert vor dem Ausland gern mit seiner Geschmackskultur, mit Wien als Welthauptstadt der Musik und der Sträuße, mit (nun schon oft hart angeschlagenen) Ski-Assen, Hotelfachschulen, Gastronomie… Als ob dieses Land ein Volk von Bratlgeigern, Skilehrern und Dienstmädchen beherbergte, wie ein Politiker sich mokiert fragte. Und vor allem, als ob mit solchen Dutzendklischees der zur Deckung passiver Handelsbilanzen notwendige Fremdenverkehr in alle Ewigkeit anzukurbeln wäre. Vorerst bleibt da der Erfolg noch nicht aus. Die Frage nach der Realität fällt daher um so schwerer: Ist dieses Image noch gerechtfertigt? Oder treiben wir eingedenk großer Traditionen längst Spiegelfechterei mit schönen Worten?

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Österreich renommiert vor dem Ausland gern mit seiner Geschmackskultur, mit Wien als Welthauptstadt der Musik und der Sträuße, mit (nun schon oft hart angeschlagenen) Ski-Assen, Hotelfachschulen, Gastronomie… Als ob dieses Land ein Volk von Bratlgeigern, Skilehrern und Dienstmädchen beherbergte, wie ein Politiker sich mokiert fragte. Und vor allem, als ob mit solchen Dutzendklischees der zur Deckung passiver Handelsbilanzen notwendige Fremdenverkehr in alle Ewigkeit anzukurbeln wäre. Vorerst bleibt da der Erfolg noch nicht aus. Die Frage nach der Realität fällt daher um so schwerer: Ist dieses Image noch gerechtfertigt? Oder treiben wir eingedenk großer Traditionen längst Spiegelfechterei mit schönen Worten?

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Ein Phänomen fällt auf: Während andere Staaten Europas mehr denn je rüsten, ihr kulturelles Erbe vergangener Jahrhunderte zusammenzufassen, treibt man hierzulande sorglos munteren Kulturausverkauf. Während Frankreich daran arbeitet, eine der monumentalsten Generalbestandsaufnahmen der Werke französischer Kultur aller Epochen zu- sammenzustellen und allerorts seine weltberühmten Sammlungen erweitert, während man, zum Beispiel, in der Bundesrepublik, ja sogar in Ungarn keine Kosten scheut, imponierende nationale Literaturarchive und Bibliotheken aufzubauen, um dieses Jahrhundert geistig dokumentieren zu können, ruht man sich hier ganz gern auf Lorbeeren aus, die Österreicher und ihre Werke im Ausland ernten.

Wie viele berühmte Nachlässe sind schon ins Ausland verkauft worden? Der des Architekten Joseph Maria Olbrich etwa im vergangenen Jahr. Schönbergs und Weberns Nachlässe liegen in den USA. Aber auch Hofmannsthals Nachlaß liegit wie der Rilkes natürlich in der BRD, Kafka und Ödön von Horvath haben wir auch nicht usw …

Immer mehr Hauptwerke neuer und neuester österreichischer Kunst gehen ins Ausland, weil eine vollkommen verfahrene Ausfuhrpolitik Kunstexporte zwar durch Vergütungen begünstigt, die Einfuhr von Kunstwerken aber mit hohen Zöllen belegt. Fazit: Österreich und vor allem Wien können schon deshalb kein internationaler Umschlagplatz alter und neuer Kunst werden.

Also führen wir unser Kulturgut auch weiterhin aus, überlassen wir es weiterhin deutschen Verlagen, Rundfunkstationen, Schallplattenfirmen, Galeriemanagern, wissenschaftlichen Instituten, mit unseren Künstlern und Wissenschaftlern gutes Geschäft zu machen, weil wir selbst dazu zu bequem, kurzsichtig oder überhaupt nicht imstande sind. Ein anderes Kapitel: Hübsche alte

Häuser, Villen, Palais, die manches Wiener Viertei charakteristisch prägen, müssen fallen. Weil sie nicht gerade ein „Denkmal“ und keines berühmten Architekten Meisterwerk sind. Und berühmter Architekten Meisterleistungen müssen fallen, weil sie irgendwelchen fadenscheinigen Ansprüchen einer Bank oder Versicherung nicht entsprechen oder Bodenspekulanten bei ihren Geschäften im Weg stehen. Als ob jedes Bauwerk zum Denkmal ernannt werden müßte, um überleben zu können.

Und noch ein Beispiel: Kunst, Mode, Luxusartikel aller Art, einst ein Sektor, auf dem Wien etwa zur Zeit der Wiener Werkstätte führend war, haben an Attraktion verloren. Man gehe durch Wiens Innenstadt, durch Kärntnerstraße, Graben, Kohlmarkt. Was ist aus so vielen Luxusgeschäften von gestern geworden? Wer — mit Ausnahme der berühmtesten Wiener Konditorei — macht sich noch die Mühe, für Auslagendekorationen Künstler zu bemühen, den Bazillus guten Geschmacks zu verbreiten? Kaufhäuser mit Massenartikel deutscher Provenienz zu kleinen Preisen sind vielfach an die Stelle exklusiver Unternehmen getreten. Das Durchschnittspublikum, von Phantasie und Geschmack weniger belastet denn je, weiß Qualität der Arbeit, der Präsentation, der Verpackung nur noch in den wenigsten Fällen zu schätzen.

Ein Laisser-faire ist jedenfalls demokratisches Geschmacksalibi geworden. Müßten sonst die Bundestheater noch immer, mitten in Konjunkturzeiten, ihre eigentlich peinliche Bitte vorbringen, das Publikum möge die Vorstellungen in einer dem Rahmen entsprechenden Kleidung besuchen? Das Ergebnis einer generellen Bestandsaufnahme zum Thema Geschmack wäre deprimierend: Es würde aufzeigen, wie sehr die Wohnkultur des Durchschnittsbürgers (trotz der Traditionen von Loos, Hoffmann, Thonet usw.) verrottet, wie Wohnungsbau und kleinkariertes Provinzdenken ursächlich Zusammenhängen. Welch schlechter Geschmack so viele neue Dutzendbauten prägt. Wie wir unser kostbares historisches Stadtbild verwüsten und dadurch unverantwortlicherweise den Bewohner an alltägliche Häßlichkeit gewöhnen. Vor allem, daß so wenig getan wird, die Jugend dazu zu erziehen, Qualität zu erkennen und dem Mittelmaß auf allen Gebieten kritisch zu begegnen. Der akute Mangel an Information in allem, was Geschmacksbildung auf breitester Basis betrifft, bereitet nur eine endgültige geschmackliche Nivellierung in Richtung Massen- kutlur vor. Oder ist hierfür das Wort Kultur schon zu hoch?

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