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Konfliktregelung

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In den Jahren 1985 und 1986 wurde im Rahmen der Jugendgerichtsbarkeit ein zukunftsträchtiges Modell ausprobiert: die Konfliktregelung. Sie ist der Versuch, Täter und Opfer zu versöhnen, den entstandenen Schaden wiedergutzumachen und dadurch das Strafen zu vermeiden.

Ein Beispiel soll den unterschiedlichen Zugang zum bisherigen Verfahren erläutern: Ein Jugendlicher nimmt unbefugt ein fremdes Moped in Betrieb, animiert einen Freund, mitzukommen, und der Ausflug der beiden endet mit einem Unfall. Die Polizei führt Erhebungen durch und erstattet Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, die nun ihrerseits ermittelt.

Der bisher übliche Verlauf: Verhandlung vor dem Jugendrichter, Verurteilung, Vorstrafe...

Bei der Konfliktregelung aber kann der Staatsanwalt geeignete Fälle einem außergerichtlichen Vergleich zuführen. Statt den Akt an das Gericht weiterzuleiten, übermittelt er ihn an den Konfliktregler (im Modellversuch hatten Bewährungshelfer diese Aufgabe übernommen). Dieser setzt sich mit allen Betroffenen in Verbindung und erkundet eine für alle Beteiligten tragbare Lösung.

„Ich würde zunächst den Jugendlichen in meine Sprechstunde laden“, erklärt Michael Kö-nigshofer, einer der beiden in Wien tätigen Konfliktregler, seine Vorgangsweise. „Meist kommen die Eltern mit. Wir besprechen die Sache durch, und ich versuche mir ein Bild von der Person und der Umgebung des Jugendlichen zu machen. In der Folge treffe ich auch die Geschädigten und lerne ihre Sicht der Dinge kennen.“

Auf dieser Grundlage wird nun ein Lösungsvorschlag ausgearbeitet. „Mir ist wichtig, daß der Jugendliche dabei von sich aus initiativ wird. Vor allem muß er sich mit seiner Tat auseinandersetzen, mit ihren Folgen. Die meisten Jugendlichen haben ja keine Ahnung, welche schwerwiegenden menschlichen und rechtlichen Konsequenzen ihre unbedachten Handlungen haben. Sie sind meist schwer geschockt, wenn sie diese erkennen.“

Im vorliegenden Fall hieße das: Bezahlen der Reparatur und des Schmerzensgeldes (etwa in Form von Ratenzahlungen). „Zuletzt schreibe ich einen Bericht an die Staatsanwaltschaft. Dieser enthält die angepeilte Lösung und meine Beurteilung der Einschätzung der Situation des Jugendlichen und seiner Motivation, den Schaden wiedergutzumachen.“

Die Entscheidung liegt nun bei der Staatsanwaltschaft. Sie wird meist den Vergleich als Lösung akzeptieren und das Verfahren einstellen. Damit ist die Sache erledigt. Nur wenn der Jugendliche nicht auf den Vergleich einsteigt— meist geschieht dies, wenn die Sachlage nicht geklärt ist -, wird Anklage Äioben.

Die Kormiktregelung ist nur dann erfolgreich, wenn sie rasch über die Bühne geht - solange die unmittelbare Betroffenheit gegeben ist.

Auch für die Geschädigten hat das Verfahren Vorteile. Sie ersparen sich das Prozessieren um Schadenersatzansprüche. Statt dessen werden Schuldanerkenntnisse und Ratenverträge unterschrieben.

Und wie erfolgreich war der Versuch bisher? „Ich habe ungefähr 50 bis 60 Fälle bearbeitet. Davon sind maximal sieben negativ ausgegangen. Ich halte diesen Zugang für sehr sinnvoll“, zieht Kö-nigshofer Büanz. „Gerade in der Pubertät macht man vieles, was kriminell geahndet werden könnte. Da wäre es gut, wenn nicht gleich mit Strafe und Stigmatisierung reagiert würde.“

Konfliktregelung verlangt vom Jugendlichen, sich konkret den Folgen seines Tuns zu stellen, dem Geschädigten gegenüberzutreten. Das erzeugt Betroffenheit, die im Gerichtsverfahren bei weitem nicht so tief wirkt.

Schwer hat es oft auch der Geschädigte, wie folgender Fall zeigt: In Wien betreiben zwei alte Frauen einen Greißler laden. Es ist Mittagszeit. Zwei Jugendliche kommen ins Geschäft und werden von den beiden Frauen beim Diebstahl ertappt. Alle erschrek-ken furchtbar, die Jungen flüchten, hinterlassen das Diebsgut, werden aber später gefaßt.

„Die Jugendlichen waren ganz zerknirscht und zu allem bereit“, erinnert sich Königshof er, der mit der Konfliktregelung betraut worden war. „Das große Problem war die Furcht der beiden Frauen. Sie befürchteten, die beiden Jungen könnten wiederkommen und sie womöglich ermorden. Es bedurfte vieler Gespräche, um eine Begegnung der Beteiligten zu ermöglichen.“

Man vereinbarte, daß die Jugendlichen künftig bei Warenlieferungen helfen würden, abladen, einräumen — und es hat sich fast ein amikales Verhältnis ergeben.

Wenn auch nicht alle Fälle so gut endeten, waren die Erfahrungen mit der Konfliktregelung, die in Wien, Linz und Salzburg gemacht wurden, doch sehr positiv. Behandelt wurden vor allem Sachbeschädigungen, auch einige Fälle von Körperverletzung, sowie Verkehrsunfälle, jedenfalls nicht nur Bagatellsachen.

All das ist Grund genug, der Konfliktregelung in der längst überfälligen Jugendgerichtsgesetznovelle eine rechtliche Basis zu geben, betonten alle Bewährungshelfer, mit denen ich sprach.

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