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Kooperieren mit Herz und Hirn
Fast könnte man sagen: Michail Gorbatschow hat es möglich gemacht, daß sich am freundlich sonnigen 10. Oktober die bunte Schar der Donauvölker in Krems an der Wissenschaftlichen Landesakademie zu einem Kolloquium über die „Kulturelle Dimension einer Arbeitsgemeinschaft der Donau-Länder“ zusammenfand.
Die Stadt Krems selbst mit ihrem Ambiente ist gleichsam eine Metapher für das aktuelle Thema: Alles atmet Geschichte, Kunst, Kultur,
der Hafen ist Anlaufstelle und Umschlagplatz der Donauschiffahrt von Bayern bis zum Schwarzmeer und bald noch weiter nach Norden und Westen durch den fast vollendeten Rhein-Main-Donau-Kanal.
Aus dem kleinen Zwischeneuropa - was sonst war Österreich seit 1945? - wächst wieder das alte und doch neue Mitteleuropa. Das Kremser Kolloquium war dafür Zeugnis und Beispiel.
Wann hat man das letzte Mal so viele Vertreter der Staaten, Länder und Regionen, die der Strom verbindet, so motiviert im sachlichen
Gespräch zusammensitzen sehen?
Es war erkennbar, daß den Teilnehmern das Näherrücken, der Austausch der Gedanken und der Meinungen, die Kooperation ein Anliegen ist. Jetzt, da der Eiserne Vorhang - fast über Nacht - weggerostet ist.
Und die da miteinander sprachen und nach den Strukturen einer Arbeitsgemeinschaft suchten, sie kamen aus Ungarn, aus der CSSR, aus Polen, aus Jugoslawien, aus der Sowjetunion und aus Rumänien. Nur die Bayern fehlten. Fünf österreichische Bundesländer hatten Vertreter geschickt.
Nicht zufällig war die niederösterreichische Stadt Krems Ort des Kolloquiums. Die Idee einer Arbeitsgemeinschaf t der Donauländer hatte auf einem Donau-Symposion in Melk der niederösterreichische Landeshauptmann Siegfried Ludwig 1982 bereits skizziert. Und seither gab es eine Reihe von Versuchen und konkreten Schritten, Nieder-
österreich zur Drehscheibe Mitteleuropas werden zu lassen. In wechselnder Zusammensetzung trafen sich seither Vertreter der Donauländer, stellten Problem- und Arbeitskataloge auf, bildeten gemeinsame Kommissionen.
Schnell zeigte sich, daß die Fragen, die man gemeinsam beantworten könnte, Legion sind: Fragen der Flußschiffahrt, der Wasserqualität, des Landschaftsschutzes, des Kraftwerksbaues, die Donau als Natur-und Erholungslandschaft, der Donauraum als Friedenszone und anderes mehr.
In Krems aber ging es über diese Sachthemen hinaus um Belange der Kultur. So stellte ein Vertreter Serbiens schon am Beginn des Kolloquiums die Frage: „Was ist Kultur?“. (
In der Diskussion wurden sich Diplomaten, Politiker, Beamte sehr rasch einig, daß die ins Auge gefaßte Zusammenarbeit mehr sein müsse als der Austausch von Ausstellun-
gen, von Theaterensembles oder Orchestern und alle Lebensbereiche umfassen müsse.
Die Arbeitsgemeinschaft soll sich auch mit Fragen der Bildung, der Freizeitgestaltung, der Gesundheitspolitik, der Jugendarbeit und der Heranbildung eines gemeinsamen Geschichtsbewußtseins befassen.
Landespolitiker Ludwig faßte diese vielschichtige Zusammenarbeit mit den Worten „Kooperation der Hirne und Herzen“ zusammen, vom „Dasein zur gegenseitigen Hilfe“ sprach ein Delegierter Ungarns.
Freilich hat auch die kulturelle Ambition der Doriauländer eine niederösterreichische Wurzel: das Donaufestival. Es sollte ein Fest, eine kulturelle Begegnung der Donauländer auf niederösterreichischem Boden sein.
Die Vision eines Donaufestivals hatte der Schriftsteller und Publizist György Sebestyen vor mehr als dreißig Jahren entwickelt. Ein Vi-
deofilm über das Donaufestival zeigt, daß Niederösterreich mit diesem Kulturfest der Realisierung dieser Vision doch recht nahe gekommen war.
Das Interesse der Donauländer an einer eigenen Arbeitsgemeinschaft - ähnlich der ARGE Alp - ist groß. Was durch den Zerfall der Habsburger-Monarchie auseinanderdriftete und 1945 durch den Eisernen Vorhang getrennt wurde, strebt nach Dialog und vielfältiger Berührung. Eine „ARGE Donauländer“ böte dafür eine institutionalisierte Möglichkeit.
„Die Zeit ist reif. Was wir jetzt beginnen, werden wir auch zustande bringen“, formulierte Landeshauptmann Ludwig. Und nicht viel anders auch Sebestyen: „Der Schritt zur Wiederherstellung des Normalen ist selbstverständlich. Es ist unsere intellektuelle Pflicht, unsere gemeinsame Zukunft gemeinsam zu formen.“
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