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Neue Kooperation

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Wir waren doch mehr schon als eine Nation! Wollt euer fröhliches Menschentum wechseln in Worte von Stämmen, von Völkern und Rassen?“ Oberst von Radosin in Franz Theodor Cso-kors Drama „3. November 1918“ verteidigt die Ideale einer mythologisierten Geschichte. Die Realität freilich zeigt bloß einen Trümmerhaufen. Der Erste Weltkrieg ist endgültig verloren, und am 3. November 1918 wird der Waffenstillstand zwischen Österreich-

Ungarn und den Siegermächten beschlossen.

Im Rahmen der diesjährigen Auslandskulturtagung lud deshalb das Außenministerium sämtliche Botschafter und Kulturattaches zum Gedankenaustausch über das Thema „1918-1988: Österreich und seine Nachbarn - Von der Desintegration zur Kooperation“ in den Re-doutensaal der Wiener Hofburg.

Die Zeit der Desintegration dürfte nun beendet sein. Zum er-“ sten Mal trafen in diesem Rahmen Experten aus Österreich und den Nachbarländern zusammen. Noch vor wenigen Jahren hätte es eine Zusammenkunft dieser Form nicht geben können. Die aus dem multinationalen Staat der Habsburger entstandenen Nationalstaaten sind ja aufgrund der Großmachtpolitik der USA und' der Sowjetunion zu Objekten geworden. Allein die Versammlung von Gelehrten und Autoren bei einer Podiumsdiskussion spricht für sich. Es ist dies wohl der Öffnung des Ostens zuzuschreiben.

Unter der Leitung des Publizisten Ernst Trost sprachen die Philosophen und Historiker Peter Hanäk aus Budapest, Jifi Kof alka aus Prag, Vasilij Melik aus Laibach, Marian Zgörniak aus Krakau, Richard Plaschka, der Leiter des österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts, der Germanist Giorgio Cusatelli aus Pavia, der Innsbrucker Literaturprofessor Zoran Konstantino-vic und der Schriftsteller György Sebestyen aus Wien über die Gründe des Untergangs der Donaumonarchie und über die neue Entwicklung bilateraler kultureller Beziehungen zwischen den Nationen.

Dabei konzentrierten sich die Tagungsteilnehmer auf die Frage der nationalen Identität, was notwendigerweise die Beschäftigung mit der Geschichte mit sich bringt.

Sebestyen beispielsweise unterschied drei Kräfte, die die gesellschaftspolitische Entwicklung um die Jahrhundertwende beeinflußten: Die zur Kooperation drängende Tradition des Kaiserreiches, dagegenwirkende nationale Tendenzen und schließlich den Willen zur geistigen Zusammenarbeit, unabhängig von der Monarchie. Dieser Wille lebt heute weiter.

Ein realistisches Selbstverständnis Österreichs, erklärten viele der Tagungsteilnehmer, könne nur durch Einbeziehung der Meinungen und Gedanken anderer ermöglicht werden. In diesem Sinne verfolgt Österreich eine schrittweise Kooperationspolitik. Außenminister Alois Mock betonte in seinem Einführungsreferat die Wichtigkeit der auswärtigen Kulturpolitik und versprach, daß sich die Diplomatie in Hinkunft viel stärker auf die Kreativität von Kultur und Geist stützen würde. In Blickrichtung EG sei die Mitteleuropapolitik ein wichtiges Element der Diplomatie; eine engere Zusammenarbeit im Donauraum habe demnach besondere Bedeutung.

Der Erfolg vieler Aktivitäten, auch das haben die Beratungen der Diplomaten und Intellektuellen ergeben, wird sehr von der

Selbstdarstellung Österreichs abhängig sein. Hier sind Kunst und Wissenschaft besonders wertvolle Exportgüter. Der Ubersetzung heimischer Literatur in eine Fremdsprache und ausländischer Autoren ins Deutsche kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Auf dem Gebiet der Musik wurde die persönliche Präsentation zeitgenössischer österreichischer Komponisten in ausländischen Rundfunkanstalten angeregt.

Diese und viele andere Aufgaben der interkulturellen Beziehungen werden seit Jahrzehnten von den österreichischen Kulturinstituten im Ausland erfüllt. Sie agieren völlig unabhängig. Auch das Ost- und Südosteuropainstitut konnte eine Reihe wichtiger wissenschaftlicher Publikationen, zum Beispiel den „Atlas der Donauländer“, herausgeben. Neben all diesen bedeutenden Elementen wurden auch die Teilnahme an der europäischen Forschungszusammenarbeit und die Kooperation im Ausbildungswesen als wichtige Bestandteile einer erneuerten auswärtigen Kulturpolitik und der Integration in den Donauraum im speziellen und in Europa im gesamten genannt.

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