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Soll der Staat - so fragte sich eine Diskussionsrunde des „Club 2“ -, soll der Staat unbekannte junge Künstler fördern? Ja, er soll. Denn auf tausend Nullen kommt ein großer Meister von morgen, und das steht dafür. Soll der Staat dabei auf das berühmte Volks- empfinden Rücksicht nehmen? Nein, er soll nicht. Hätten die Medici erst bei den Florentinern um Erlaubnis gefragt, die Welt wäre ärmer.

Soll man zu einer Diskussionsrunde über Kunst einen ehrenwerten und braven, aber völlig ahnungslosen Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in den „Club 2“ einladen und ihn dortselbst von einem kommunistischen Dichter öffentlich schlachten lassen? Nein, das soll man nicht, denn das ist unritterlich, obzwar ja, zugegeben, Ritterlichkeit ein undemokratischer Vorgang ist.

Sollen die Massenmedien versuchen, das Volk an Kunst heranzubringen? Ja, sie sollen es, nur sollten dabei die Kritiker nicht ihre Ratlosigkeit einerseits und ihre Wichtigtuerei anderseits hinter hochgestelzten Phrasen verbergen und damit das Publikum erst recht kopfscheu machen.

Müssen Künstler öffentlich ihr Bedürfnis verrichten, um solcherart ihrem Protest gegen die „Gesellschaft“ (die ich übrigens nicht kenne, man hat sie mir nie vorgestellt) Ausdruck zu verleihen? Nein, sie müssen nicht, und sie dürfen sich nicht wundern, wenn Österreich sie daraufhin im Bogen hinausschmeißt. Denn Michelangelo hat einstmals, als er, umgekehrt, eines Morgens feststellen mußte, daß Gegner seiner entarteten Kunst des Nachts vor seinem Haustor in Rom ihre Bedürfnisse verrichtet hatten, sich hingesetzt und ein Sonett geschrieben, eine Mischung aus Wut, Witz und Wohllaut, über die man heute noch lachen und weinen kann. Aber wer von den zeitgenössischen Protestierern ahnt schon etwas von den himmlischen Versen („Le Rime“!) des Buonarroti?

Soll man - ob Staat, ob Privatmann - fördern, was gefällt und was man versteht, oder auch fördern, was nicht gefällt und was man nicht versteht? Karl IV. von Spanien und seine Gattin Luisa holten Goya aus dem Nichts und ließen sich von ihm als das malen, was sie waren: als einen schlechten König und als eine schlechte Königin. Und das über die Grenze der Karikatur hinaus. Und das auch noch in einer Technik, die für damalige Verhältnisse schockierender und umstürzender war als Picassos kubistische Periode für die Generation unserer Väter und Großväter.

Der schlechte König und die schlechte Königin haben Spanien an Napoleon verschachert und damit, unwissend, unsägliches Leid über ihr Land gebracht. Aber der Welt haben sie ein unschätzbares Geschenk gemacht: Francisco de Goya. Sie hatten keinen Velazquez, keinen Zurbarán, keinen Coello zur Hand. Aber da war dieser schreckliche, taube Goya, und der Rest irgendeines ererbten Instinkts gab ihnen ein, daß man ihn fördern müsse. In dieser Hinsicht scheint es immer noch ein gewisses inneres Gefälle zwischen schlechten Königen und guten konservativen Mandataren zu geben.

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