6856822-1977_19_04.jpg
Digital In Arbeit

Löwe Wenzl für neue Wege in der Bevölkerungspolitik

Werbung
Werbung
Werbung

Bevölkerungspolitische Perspektiven in die Politik einzubringen, ist notwendig: das ist das Ergebnis einer Podiumsdiskussion des Oberösterreichischen Cartellver- bandes zum Thema „Zukunft und Familie”.

Die Thematik ist den Oberösterreichem nicht neu, war es doch Landeslöwe Erwin Wenzl selbst, der zu Beginn des Jahres zuerst in einer Rundfunkansprache und dann durch eine Inseratenkampagne die Bevölkerung des Landes ob der Enns mit einer harten Frage aus dem Schlaf der Konsumgesellschaft riß: „Wer wird einmal unsere Pensionen zahlen?”

Die Frage war nicht so hart formuliert, stand aber deutlich im Hintergrund der Informationen des Landeshauptmannes, wonach es erstmals auch in Oberösterreich ein Geburtendefizit gebe, wonach die Anzahl der Todesfälle größer sei als die Anzahl der Geburten.

Wenn man nun bei der Linzer Podiumsdiskussion den Argumenten des Nationalökonomen Dr. Schuster (Linz) folgte, wurde einem klar, daß es im Ge-

folge der negativen Bevölkerungsbilanz nicht nur um die Pensionen gehen wird. Die Wirtschaft insgesamt gelangt in ein Netz von Fußangeln. Derzeit besteht nämlich beispielsweise die Notwendigkeit, Lehrplätze zu schaffen. In den nächsten Jahren, beim Eintritt der geburtsstarken Jahrgänge ins Erwerbsleben, wird man die Anzahl der Arbeitsplätze sprunghaft erhöhen müssen. Eine weitere Phase dieser Entwicklung wird dann in den neunziger Jahren des Jahrhunderts erreicht, wenn die geburtsschwachen Jahrgänge der siebziger Jahre die volle Bürde der sozialen Lasten, die zum großen Teil Fixkostencharakter haben, übernehmen müssen. Da eine Tendenzwende auf dem Geburtensektor nicht abzusehen ist, muß man befürchten, daß die Aufgaben von heute bereits morgen für unsere Kinder zu unlösbaren Problemen geworden sind.

Einen Ausweg aus der verhängnisvollen Entwicklung gäbe es für den Sozialwissenschafter Dipl.-Ing. Dr. Millendorfer (Wien) in der Wiederentdeckung christlicher Werte, in der Neugestaltung der menschlichen Beziehungen. Die Familie als zentraler Punkt eines erfüllten Menschseins wäre intensiv zu fordern.

Genau dies scheint auch das Anliegen des oberösterreichischen Landeshauptmannes zu sein: Er verweist auf die schwerwiegenden Auswirkungen des Geburtenrückganges, erneuert seine Forderungen nach einer zukunftsorientierten Bevölkerungspolitik und schlägt eine „Neuorientierung der Familienpolitik in Österreich” überhaupt vor.

Aus oberösterreichischer Sicht ist die Intensität, mitderWenzl derzeit die Folgen der negativen Geburtenbilanz Österreichs an die Wand malt, nur mit seinem vor Jahren begonnenen Einsatz in Umweltschutzfragen vergleichbar. Oberösterreich war damals das erste Bundesland, in dem gezielt die Umweltschutzproblematik ins Bewußtsein der Bevölkerung getragen wurde. Derzeit scheint dem Landeshauptmann eine ähnliche Kampagne mit dem Problemkreis der negativen Bevölkerungsentwicklung vorzuschweben.

Die Entwicklung im ersten Vierteljahr 1977 in Oberösterreich entspricht genau dem gesamtösterreichischen Trend. Sie steht aber im deutlichen Gegensatz zur Entwicklung im benachbarten Bayern, wo nach gleichfalls starkem Rückgang die Anzahl der Geburten 1976 erstmals wieder leicht anstieg - wobei freilich immer noch ein Geburtenabgang zu verzeichnen ist. Dieser Anstieg bedeutet allerdings noch keine Überwindung des Geburtenrückganges und keine Änderung des familienpolitischen Verhaltens der Bevölkerung.

Worauf man auch in Oberösterreich derzeit noch nicht hoffen kann. Denn nach dem Beginn der Informationskampagne Wenzls Anfang Jänner gehörte das Geburtendefizit zwar zum Pflichtsoll der Stammtischgespräche, aber symptomatisch ist vielleicht die Aussage eines Pfarrers in einer kleinen, 1350 Einwohner zählenden Gemeinde des Oberen Mühlviertels, wo man früher 30 bis 40 Geburten jährlich verzeichnete, wo es aber 1976 nur noch neun Taufen gab: „Wenn ich den Arzt frage, warum er die Pille so häufig verschreibt, redet er sich auf die Apothekerin aus, die die Pille ohne Verschreibung hergibt Wenn ich mit der Apothekerin rede, sagt sie, sie müsse doch den Anweisungen des Arztes nachkommen und den Leuten jene Medikamente aushändigen, die am Rezept verschrieben seien.”

Ein circulus vitiosus, von dem man nur hoffen kann, daß er in keinen endgültigen gesellschaftspolitischen Todeskreis mündet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung