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Multi media circus
Das wirtschaftliche Ost-West-Gefälle, die beherrschende Rolle von Bundesländermannschaften in der Nationalliga, die zentrale Bedeutung der Festspiele in Salzburg, Bregenz und Ossiach, die überwältigend reiche Zahl neuer literarisch-dramatischer Begabungen aus den Bundesländern — all das zeigt, wie sehr sich in föderalistischer Neubesinnung das herkömmliche Bild der österreichischen Landschaft wandelt. So ist es auch durchaus an gebracht, in einem allgemeineren Rahmen auf die Bemühungen einzugehen, neue Formen künstlerischer Kommunikation zu erarbeiten. Ein Schritt in diese Richtung ist der Salzburger Multi media circus: Aus kleinen, vorsichtig tastenden Versuchen des vergangenen Jahres erwachsen, hat sich der Multi media circus nunmehr einen festen Platz im Salzburger Kulturleben erworben. Ob er ihn freilich in Hinkunft behalten kann?...
Die Kulturbehörden des Landes und der Stadt geizen vorläufig zwar noch ein wenig mit den erforderlichen finanziellen Aufbauspritzen, nicht aber mit umfänglicher ideeller Hilfestellung. Ziel ist es, die Veranstaltungen des Multi media circus in immer rascheren Abständen aufeinander folgen zu lassen, um dadurch den Weg vorzubereiten für das im Jahre 1974 zu erstellende Salzburger Kunstzentrum. Mit Recht also wartet man nicht auf das Versanden neuer Ideen in den Arbeitssitzungen unzähliger Kuratorien, sondern verläßt sich lieber auf die praktische Machbarkeit, auf die Begeisterung meist ganz junger Künstler.
Zwar ist es gelungen, durch ein Mammutprogramm (etwa 50 Stunden reine Spielzeit) nicht nur die Aufmerksamkeit der Lokalpresse reichlich zu fesseln, sondern sich auch ein begeistertes Stammpublikum zu erwerben. Organisatorisches Geschick und formale Brillanz der meisten Darbietungen (Leitung:
Wolfgang Czech und Helmut Reichmann) können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die eigentliche Absicht verfehlt wurde. Es ist zu keiner Zeit „gelungen, den vielzitierten manipulationsfreien kreativen Raum integrierender Kommunikation zwischen Künstler und Publikum zu schaffen. Konsumverhalten wurde nicht abgebaut, sondern subtil gepflegt. Denn es ist ja nicht damit getan, ein von Haus aus zu jeder Zustimmung bereites Publikum fünf Minuten lang an • kreativer Atmosphäre schmecken zu lassen und dadurch zu einer etwas naiven Form des Selbstgenusses zu führen. In jeder Minute blieb die Veranstaltung auf ihrem vorprogrammierten Weg, und zwar selbst dort, wo einige berufsmäßige Aktivisten zu Zerstörungen schritten. Ein konzertiertes Happening ist eben schon wieder
nichts Spontanes. Das Unbehagen, sobald es sich ästhetisch formuliert, gewinnt einen schalen Beigeschmack. Das Verschmockte und
Geschmäcklerische des Satten, der den Hunger verbalisiert, ist evident. Die Zusammenstellung heterogenster Elemente bei den Veranstaltungen des Multi media circus unterstreicht den doppeldeutigen Eindruck des ganzen Unternehmens. Neben geistvoll-elitären Präsentationen („Freetext + Freejazz” mit Peter Kraml/Linz; „Steine in diesen Tagen” — Musik von Andor Losonczy, Lyrik von Stefan Legat; „Spatial Music — Hommage to Igor Strawinsky” von Ton de Leeuw, Salzburger Studentenorchester unter Wolfgang Seeli- ger) standen rein kommerzielle Popgruppen („Pentameter”/Salzburg; Dieter Feichtner; Wolfgang Pillin- ger) und bürgerlich-klassisches Schauspiel von großer Präzision (Brechts „Der Jasager und der Neinsager”, Regie: Georg Ourth; Gogols „Tagebuch eines Wahnsinnigen” mit dem großartigen Hermann Scheidleder, Regie: Reinhard Zobel). Satire und politkabarettistische Bemühungen (Christian Wallner, Gruppe ,,Wespennest”/Wien) und einige ältliche deutsche Underground-Filme („Schwestern der Revolution” von Rosa v. Praunheim, „Auch Zwerge haben klein angefangen” von H. J. Syberberg) hatten in Salzburg den Erfolg des Leichten und Neuen. Das Orff-Institut steuerte Ballettkollagen bei („Kaleidoskop”, „Evolumotion”, Leitung Barbara Haselbach), die Gruppe „ars nova” (Gerhard Sim- böck) schockte durch raffinierte Klangspiele („Make your own kind of music”, „je flöte desto helga”). Der jüngste Teilnehmer war der Salzburger Lyriker Günther Schatz- dorfer (neunzehnjährig und sehr begabt). Im Schatten stand leider die geschickt zusammengestellte Miniausstellung von Graphiken und Objekten (insbesondere Brigitte Göbel, Rainer Viktorin, Gottfried Höll- warth, Ines Höllwarth und Christoph Oberhuemer). Helmut Reichmanns „Malmaschine” und Eva Kanfers „Painting Action” hatten großen Publ’ikumserfolg.
Unter diesen Umständen ist zu fragen: Darf so das zukünftige Salzburger Kunstzentrum aussehen? Die Gefahr ist deutlich gegeben, daß hier der Schock sorgsam verpackt in den geschlossenen bürgerlichen Raum hineingestellt wird und sich zur touristischen Attraktion entwik- kelt. Kunstzentrum oder Freizeitzentrum — für eines von beiden wird man sich entscheiden müssen. Es liegt in der Natur der Sache, daß nur derjenige, dem von Haus aus ein gewisses Sensorium für künstlerische Aktivität mitgegeben ist, überhaupt fähig ist, selbst zum integrierenden Bestandteil zu werden. Die übrigen, nachdem sie ihre eigene Blindheit entdeckt haben, reagieren mit Verweigerung und Aggressivität. Gruppendynamische Prozesse am untauglichen Objekt in Gang setzen zu wollen, wird Bewußtsein nicht bilden, sondern verbilden zur Potenzierung der unbewußten Vorurteile.
Der Multi media circus kann nur dann eine echte Überlebenschance haben, wenn er bewußt die kollektive künstlerische Arbeit im sogenannten ideologiefreien Raum fördert. Wobei ideologiefrei natürlich nur bedeuten kann, daß die Maßstäbe künstlerischer Aktion nicht aus den Ideologien bezogen werden. Das Ergebnis der Integration der Künstler muß der Konfrontation der Öffentlichkeit preisgegeben werden, und zwar nicht im massenhaften Raum, sondern im kleinsten Kreis. Es setzt vor allem die theoretische Artikulation des eigenen Wollens voraus, an der es bislang gefehlt hat. Die Salzburger Veranstaltung mit ihren positiven Seiten (im herkömmlichen konsumativen Sinn äußerst erfolgreich, in der Absicht bestechend, in den Darbietungen zumeist auf hohem Niveau) und in ihrem negativen Ergebnis (im Westen nichts Neues) verdient in jedem Fall breite Aufmerksamkeit für die Zukunft, kritische Aufmerksamkeit. Das Wohlwollen würde den Multi media circus zur letztlich clownesken Unverbindlichkeit herabwürdigen. Arbeitswille und Mut sind da; Geld könnte es alsbald geben. Nur der Geist — auf ihn sollte man nicht mehr allzu lange warten müssen.
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