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Nach dem Entwurf der Wurf

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Mit dem dezidierten Anspruch, anspruchsvolle Literatur zu bieten, trat der Rhombus-Verlag vor einem halben Jahr an das Licht der Öffentlichkeit. Der auf den ersten Blick ebenso kokett wie aggressiv anmutende, in jedem Fall werbewirksame Slogan sprach offen ein Reizwort aus: gute Literatur. Was soll das sein, wo allenthalben „Literatur“ zu einem Hilfsausdruck degeneriert ist und lediglich als ein pragmatisches Kürzel brauchbar erscheint (Literatur als das Geschriebene: von Goethe bis zum Geschenkten Gaul, von Adorno bis Asterix) und wo es hinsichtlich der Qualität von Literatur - in einem pseudoparadiesischen Zustand der Nichterkenntnis von Gut und Böse -fast schon mehr Meinungen als Meinende zu geben scheint? Ist nicht jeder Propagandist einer „guten Literatur“ in der Position des Verteidigers? Oder zumindest in der Position des Angegriffenen?

Wie auch immer eine wertende Etikettierung der Literatur geschehen mag: sei es mit moralischen („gut“ -„schlecht“), erotischen („schön“ -„häßlich“), metereologischen („hoch“ - „niedrig“) oder sonst welchen Vokabeln, hat sie nicht den Geruch des Anrüchigen an sich? Kann „anspruchsvoll“ etwas anderes heißen als elitärversnobt, „gut“ etwas anders als Chuzpe? Und wie die Einwände alle heißen.

Man sollte meinen, daß jeder, der es wagt, von „guter“ Literatur zu reden, zunächst mächtige Verteidigungsreden schwingen muß, ehe er überhaupt den Mund aufmachen darf zugunsten seines Gutes. Außer er ist manisch naiv oder unernst. Vintila Ivanceanu ist weder das eine noch das andere: er ist konsequent Er ist einer der wenigen, wenn nicht überhaupt der einzige, der derzeit in Österreich mit exemplarischer Beharrlichkeit eine „Literaturliteratur“ verficht und durchsetzt: eine Literatur, die nichts anderes kennt als die Arbeit mit der Sprache und die Lust am Text Als Autor wie als Verleger ist Ivanceanu ein Verächter des Zugeständnisses: kompromißlos gegenüber dem Gängigen, keusch gegenüber den aufdringlichen Verlok-kungen des Marktes. Ein Purist, kein Puritaner.

Die Entschiedenheit der Wahl eines extrem eingeengten Literaturbegriffes hat den Vorteil, daß man ganz genau weiß, wozu man ja oder nein zu sagen hat; ihre Kehrseite ist, daß sie unduldsam anders ist. Freilich hat solche Intoleranz ihre innere Logik: eine Bestimmung bedeutet notwendigerweise ein Abgrenzen und ein Ausschließen, um der Kommunikation willen die Exkommunikation. Was gute Literatur ist, bestimmt Ivanceanu. Es herrscht die Diktatur des Lektorats (wie anderswo auch).

Nach dem Debüt mit den ersten drei Titeln (Furche Nr. 47/1977) geht der Verlag in die zweite Runde: die Probe aufs Exempel einer guten Literatur, sonst nichts. Der Prosatext „Reise“ stammt von Ivanceanu selbst. Es wird nichts beschrieben, es wird nichts erzählt es wird gereist Ivanceanu ist ein Meister des Endspiels, aber ohne den brutalen Ernst des Sisyphos und ohne den Leichtsinn des Barons von Münchhausen. Uber allem waltet eine Poesie des horror vacui, die sich weder in witziger Geschwätzigkeit austobt noch in panischem Schweigen erstirbt sondern eben poetisch ist: schlafwandlerisch im Auffinden jener Spur, in welcher sich heitere Gelassenheit mit einem aus dem Bann des Tragischen erlösten Ernst trifft „Wenn ich nun schon einmal hereingekommen bin, warum sollte ich mich dann jetzt mit der Rückkehr beeilen?“ heißt es zu Beginn des letzten Kapitels dieser langen, endlosen Reise, die mit der Rückkehr und damit mit dem Beginn endet Sisyphos würde sich beeilen, Münchhausen würde sich entziehen - Ivanceanus Reisender aber reist mit mystischer Gelassenheit.

„Die Billigung des Unaussprechlichen“ heißt ein Band mit Essays von Hans Rochelt Behandelt werden Dichter und Denker des gegewärtigen und des vergangenen Jahrhunderts: die Bandbreite reicht immerhin von Eichendorff bis Ezra Pound, und von Heidegger bis Walter Benjamin. Die einzelnen Arbeiten sind nicht einfach willkürlich zusammengestellt, sondern untereinander verklammert. So erfahren wir im Titelessay über Grill-parzer von Wittgensteins Auseinandersetzung mit dem Trauerspiel „Ein treuer Diener seines Herrn“ oder im Essay über Wittgenstein von der Konvergenz Wittgensteinscher Anschauungen mit Anschauungen Benjamins: „Benjamin definierte Weisheit als die •epische Seite der Wahrheit und traf damit den Kern dessen, was Wittgenstein an Gottfried Keller als Weisheit bewunderte.“ Hans Rochelt hat eine wohltuende Art zu schreiben: er ist seinem Gegenstand gegenüber nie überheblich und kommt völlig aus ohne Besserwisserei und Polemik. Er versteht es, das Darzustellende gleichsam sich selber darstellen zu lassen -eine Kunst, die angeblich seit Thomas von Aquin nur noch selten geübt wird. Rochelt beherrscht die Dramaturgie des Arguments, wenn er Zitate hinstellt und erst anschließend preisgibt wer hier das sagte, was der Leser zunächst unvoreingenommen vernommen hat.Uberhaupt ist der Stil dieser Essays ein rhetorischer, der beim Leser alles andere als Langeweile aufkommen läßt, Rochelt ein Rhetor, kein Rhetoriker.

„Der Sprache gewidmete Sonntagsbilder“ nennt Jutta Schütting ihre „Steckenpferde“, geschrieben aus Spieltrieb und poetischer Laune. Um bei ihrer Lesergemeinde keine falschen Leseerwartungen zu erwecken, hielt die Autorin ein Vorwort für notwendig, in welchem sie die bei Rhombus publizierten Texte von ihrer sonstigen erzählenden Prosa abhebt. Die Texte errichten über einem mehr oder weniger banalen Grundstein (einem Ortsnamen, einem zusammengesetzten Hauptwort, einem vorgefundenen Satz oder der nur der Traumlogik gehorchenden Vorstellung von einem Bogenschützen ohne Arme) ein faszinierendes Gebäude, an dem mitzubauen - hat man einmal den Bauplan durchschaut - eine wahre Lust ist und auch bleibt, weil es in seinen (ebenso wenig kabarettistischen wie humorlosen) Einzelheiten immer noch voll überraschender architektonischer Lösungen ist. Man möchte Schütting wünschen, daß sie sich auch gelegentlich an Wochentagen Zeit nimmt für solche Sonntagsritte per Steckenpferd.

Alles in allem: Dem guten Entwurf folgte der gute Wurf, nunmehr zeigt sich der Stil des Rhombus-Verlages. Eine Lanze für anspruchsvolle Literatur wurde gebrochen; daß sie nicht zerbricht, bleibt zu wünschen übrig: dem Verlag wie der literarischen Öffentlichkeit.

REISE. Von Vintila Ivanceanu. 94 Seiten, öS 128,-.

DIE BILLIGUNG DES UNAUSSPRECHLICHEN. Essays. Von Hans Rochelt. 118 Seiten, öS 146,-.

STECKENPFERDE. Von Jutta Schütting. 86 Seiten,öS 114,-. Alle im Rhombus-Verlag, Wien 1977.

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