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Der Staatsbesuch Außenminister Schumanns in Madrid bedeutete mehr als nur protokollarische Äußerlichkeiten. Er ist der Gipfelpunkt einer seit Jahren angebahnten Annäherung zwischen den beiden westlichen Mittelmeermächten, deren natürliche Interessengemeinschaft angesichts der potentiellen Gefahren der allgemeinen Weltentwicklung alle theoretischen Gegensätze innerpolitischer Art iii den Hintergrund drängt.

Seit dem Eindringen der sowjetischen Kriegsflotte in das von beiden Staaten als Mar Nostrum empfundene und Europa südlich abschirmende Mittelmeer, ist nachbarliche Übereinkunft und Zusammenschluß zu einer realpolitischen Notwendigkeit geworden. Dazu kommt, daß infolge der sich immer mehr auf eigene Interessen zurückziehenden amerikanischen Politik die Selbsthilfe der europäischen Mächte nicht länger aufgeschoben werden kann.

Die Ansätze zu dieser Annäherung gehen auf die Machtergreifung General de Gaulles zurück. Äußerliche Parallelitäten zwischen dem zum Gründer der V. Republik aufgestiegenen Feldherm des zweiten Weltkrieges und dem aus dem Bürgerkrieg hervorgegangenem spanischen Staatschef spielten hiebei höchstens eine unbewußte Rolle. Die technische und finanzielle Überlegenheit Frankreichs und die un- ausgenützten Möglichkeiten der damals brach damiederliegenden spanischen Wirtschaft machten jedoch eine Kooperation auf vielen Gebieten für beide Teile interessant. Der Quai d’Orsay und die Heeresverwaltung folgten Schritt für Schritt und ließen sich in ihren pragmatisch ausgerichteten Bestrebungen von der Stimmungsmache einer linksgedrall- ten Weltpropaganda nicht stören. In stiller Arbeit hinter den Kulissen wurden gegenseitige wissenschaftliche und militärische Kontakte ausgebaut, welche zu einer gemeinsamen Atomzentrale in den Pyrenäen und zu gemischten Heeres- und Flottenmanövern führten.

Einen besonderen Auftrieb erhielt die französisch-spanische Annäherung durch die Wandlungen des spanisch-amerikanischen Verhältnisses. Das mit den Vereinigten Staaten im Jahr 1952 abgeschlossene und seither wiederholt verlängerte zweiseitige Hilfsabkommen, welches den Sicherheitswall der NATO an der Südflanke ergänzte, wurde von Spanien vor zwei Jahren gekündigt und konnte von den Amerikanern nur mit schwerer Mühe und in der Form eines Freundschaftspaktes erneuert werden. Spanien ist dank seiner strategischen Lage und seines überraschenden wirtschaftlichen Aufschwunges in 20 Jahren zu einem maßgebenden Faktor im Mittelmeer geworden. Sein Bestreben richtet sich auf auf eine selbständige, alle Uferstaaten umfassende Politik.

Die aus dem Bürgerkrieg überlieferte Spannung mit dem Ostblock ist nunmehr beiderseits über wunden. Spanien hat bereits mit allen Satellitenstaaten die Konsular- verbindung aufgenommen. Die Normalisierung der Beziehungen zu Moskau ist nur noch eine Frage der Zeit. Auch darf nicht übersehen werden, daß die spanische Außenpolitik in mindestens drei Fragen der ‘sowjetischen nahesteht’: Im Nahostkonflikt steht Spanien auf der Seite der arabischen Staatenblocks, mit dem es langjährige Freundschaft verbindet. Was Fidel Castros Kuba- Regime anlangt, so läßt sich Spanien, trotz amerikanischen Druckes, von einer beschränkten Aufrechterhaltung der Verbindungen nicht abdrängen. Und last not least war Spanien einer der ersten Staaten, welcher zu der von den Sqwjets angestrebten Sicherheitskonferenz seine Zusage gab. Die ideologische Pressekampagne hat auf beiden Seiten zusehends abgenommen, Gasttourneen des Bolschoj-Ballets in Spanien und andalusischer Tanzgruppen in Rußland sind an der Tagesordnung.

Wenn zur Zeit der Isolierung nach dem Bürgerkrieg der Anschluß an das westliche Sicherheitssystem für Spanien von ausschlaggebender Wichtigkeit war, so ist es heute vielmehr ein europäisches und darüber hinaus ein weltpolitisches Interesse, daß der Schlüsselpunkt des Mittelmeeres und die Südflanke des europäischen Sicherheitssystems in die gemeinsame Abwehrfront der freien Welt einbezogen wird. Dies die Hintergründe für den Wettbewerb Frankreichs und der Vereinigten Staaten um Spanien.

Die momentane Konstellation ist hiebei für Frankreich besonders günstig. Die plötzliche Umstellung von Nixons Finanz- und Fernostpolitik, die Einführung des zehnprozentigen Zollzuschlages und der Widerruf der Auslandshilfe durch den Senat haben in Spanien ernüchtend gewirkt. Das Streben nach einer Eingliederung in die wirtschaftliche, politische und Wehrgemeinschaft Europas wird immer lauter und allgemeiner. Das Losungswort der nunmehr von Franco an die Macht gerufenen jungen technokratischen Generation lautet: „ Integraciön en Europa.“ Die großzügige Realpolitik Frankreichs wäre dazu berufen, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen und anstelle von Spaniens einseitiger Anlehnung an Amerika, Spaniens Eingliederung in die europäische Gemeinschaft, in die Wege zu leiten.

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