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Neue Aufgaben für den Pufferstaat

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Die Revolution konnte zwar ein morsches System wegfegen, an der exponierten geostrategischen Lage der Tschecho-Slowakei hat sich dadurch naturgemäß nichts geändert. Und die ist durch den Zerfall des alten Sicherheitssystems der Blöcke nicht ungefährlicher geworden. Außenpolitik ist hierzulande ein Trapezakt ohne Netz.

Reiner Huber, Professor an der Münchner Bundeswehr-Hochschule, sagte es dieser Tage einem Redakteur der Tageszeitung „Mla-da fronta dnes” unverblümt ins Gesicht: „Nolens volens werden sie (die kleinen Staaten zwischen NATO und der Sowjetunion) die Rolle des strategischen Puffers spielen müssen. Für den Fall eines Konfliktes zwischen NATO und UdSSR werden sie das Vorfeld der Verteidigung bilden.”

Verständlich, daß angesichts dieser Aussichten gerade in der CSFR intensiv über neue Sicherheitsmodelle nachgedacht wird. Für Ende April luden Außenminister Jifi Dienstbier und NATO-Generalse-kretär Manfred Wörner gemeinsam zu einer Konferenz über Sicherheitsfragen nach Prag, in deren Rahmen Auswege aus der Zwickmühle gesucht werden sollen.

Trotz der ausgezeichneten Kontakte zur NATO oder besser gesagt gerade ihretwegen ist Dienstbiers Pressesprecher Egon Lansky bemüht, keine „falschen Signale” nach Moskau zu senden. „Wir haben keine Ambitionen, der NATO beizutreten”, versichert er. „Das wäre auch nicht im Sinn der NATO.”

Doch nicht nur militärisch sind die Dinge aus dem Lot. Die Handelsbilanz mit der UDSSR, mit der bisher ein Viertel aller Geschäfte abgeschlossen worden war, ist mit dem Wort katastrophal präzise umschrieben. Besonders schmerzlich zeigen sich die Probleme der Umstrukturierung auf jenem Gebiet, auf dem die Tschecho-Slowakei fast völlig von der Sowjetunion abhängt: beim Erdöl. Die einzige Pipeline im Lande kommt von dort, „aber das Öl fließt nicht gut - entgegen dem Abkommen”, wie sich Lansky vorsichtig beklagt. Ein Anschluß an die Pipelines in Schwe-chat und Ingolstadt ist daher ein vorrangiges Ziel, „aber das geht nicht morgen”, bedauert Lansky.

Wie ein Lichtblick muten dagegen Lanskys Aussagen über die Beziehungen zu Österreich an. „Friktionsfrei” und „exzellent” sind seine Worte für eine Harmonie, die nur durch der Nachbarn „Vorstellungen von Ökologie” getrübt werden. Hinter den massiven Angriffen auf das Kernkraftwerk Bohunice vermutet er „innenpolitische Gründe” und hofft auf Abkühlung der Emotionen.

Wo Lansky in Superlativen spricht, sieht Vladimir Zelezny noch viele ungenützte Möglichkeiten. Der Sprecher des regierenden Bürgerformus, der seit einigen Tagen allerdings nur noch für dessen kleineren Teil, die „Bürgerbewegimg” sprechen kann, sähe lieber mehr Gewicht auf Mitteleuropa gelegt -zumindest derzeit. Für den direkten Weg zur EG, wie ihn die Regierung unter der Anleitung von Finanzminister Vaclav Klaus gehen will, hält er sein Land für zu schwach. „Lokale Kooperation” ist das Stichwort, dem er mehr abgewinnen kann. Erste Adresse sei dafür Österreich, „weil es keine psychologischen Barrieren gibt”, so Zelezny.

In der Person des Außenministers, einer Zentralfigur der „Bürgerbewegung”, prallen die beiden Konzepte aufeinander. Einerseits ist er einer der Initiatoren der sogenannten Pentagonale und auch jener engeren Zusammenarbeit mit den Nachbarn Ungarn und Polen (FURCHE 8/1991), die in Visegräd begonnen worden ist, andererseits soll er als Regierungsmitglied die klare Westorientierung vertreten.

Doch zunächst einmal geht es um wichtige Korrekturen, die Lansky mit dem vorbelasteten Wort „Normalisierung” umschreibt. Normalisierung steht auch intern an: Dienstbier hat ein Ministerium übernommen, das wie sonst nur noch das Innenministerium von Geheimdienstmitarbeitern durchsetzt war. „An die 400 Mitarbeiter haben schon den Hut genommen”, erzählt Lansky, „und täglich gehen wieder welche. Wir brauchen dringen neue Leute.” An neuen Aufgaben ist wahrlich kein Mangel.

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