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Neue Hoffnung für Versehrte"

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Kritik an gewissen Auswirkungen der Technik ist oft nötig, aber auch der Hinweis, daß sie große Freude machen kann.

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Kritik an gewissen Auswirkungen der Technik ist oft nötig, aber auch der Hinweis, daß sie große Freude machen kann.

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Für den jungen schwäbischen Fallschirmjäger war im Sommer 1942 der Krieg zu Ende — eine explodierende Handgranate hatte ihm den rechten Unterarm abgerissen. 40 Jahre lang mußte er sich damit begnügen, den Schaden mit einer unbeweglichen Kunsthand zu kaschieren, die ausgefallenen Körperfunktionen so gut wie möglich mit der andern Hand auszugleichen, und war doch ein Krüppel.

Heute ergreift der altgewordene Mann das volle Weinglas etwas vorsichtiger, als er es einst getan hätte, er setzt es aber ebenso sicher an den Mund und wieder zurück auf den Tisch. Er hebt den Plastikbecher so zart, daß er sich nicht verbiegt — und drückt ihn dann, geleert, zusammen, um ihn wegzuwerfen. Heute' schreibt er, telefoniert er, zündet sich die Zigarette an — alles etwas langsamer, aber mit gleicher Sicherheit. Die Kunsthand, die „multifunktionale Handprothese", bioelektrisch und mikroprozessorgesteuert, macht es möglich.

Professor Achim Engelhardt von der Orthopädischen Universitätsklinik in Frankfurt hat ihm und einem Dutzend weiterer Patienten, die irgendwann einmal ihre Hand verloren haben, wieder Hoffnung auf einen halbwegs normalen Gebrauch ihrer Glieder gegeben.

Engelhardt erinnert daran, daß schon Götz von Berlichingen — dessen Stammschloß Jagsthau-sen gar nicht so weit weg von der heutigen Produktionsstätte der neuen Prothesen liegt — den Verlust seiner Hand durch ein künstliches Glied zu überwinden suchte. Die eiserne Hand des Ritters wird heute noch im Burgmuseum gezeigt.

Heute aber steht eine moderne Technik, stehen forschende Wissenschaftler bereit, immer neue Wege zu gehen, und Unternehmer, die gewillt sind, die Ergebnisse dieser Forschungen in die Praxis umzusetzen und sie der Menschheit zugänglich zu machen.

Hermann Grau etwa ist einer dieser Unternehmer. Als er aus dem Krieg zurückkam, machte der schwäbische Handwerkermeister einen Mechanikerbetrieb auf, der beim Wiederaufbau viel zu tun bekam. Heute regiert Grau eine Gruppe verschiedener Mittelbetriebe, mit denen er sich immer wieder neue Sparten moderner Technik erschloß — darunter als jüngster die Produktionsstätte der Handprothese in Böhmenkirch in der Schwäbischen Alp.

Prof. Engelhardt brachte die medizinischen Belange, Professor Horst Franke von der benachbarten Fachhochschule Aalen die technischen ein, als sie sich zusammensetzten, um das Kunstwerk zu konstruieren.

Vier Jahre lang forschten und entwickelten sie, mehr als zehn Millionen Schilling wurden investiert (wobei die öffentliche Hand mithalf). Nun liegt die Adaptivhand vor, die alle bisherigen Ersatzorgane bei weitem übertrifft.

Vier Elektroden, an der Haut des Unterarmstumpfes angelegt, nehmen die Impulse der Muskeln ab. Diese werden von einem Verstärker verdichtet und setzen einen Elektromotor in Gang, der das feinmechanische Getriebe der Ersatzhand in Bewegung setzt. Mikroprozessoren, im Inneren der Kunsthand untergebracht, steuern die wichtigsten Handfunktionen. Ein Vibrator, nur einen Zentimeter groß, ersetzt die Sinnenwahrnehmung der Haut und läßt erkennen, wie groß, wie schwer, wie beschaffen der zu fassende Gegenstand ist. Nur das Zuknöpfen des Hemdes oder das Fassen feiner Nadeln macht noch Schwierigkeiten...

Bisher sind es erst einige wenige Patienten, die die Einübungszeit mit der Kunsthand hinter sich gebracht haben. Aber Grau nennt Zahlen: 40.000 bis 60.000 Prothesenträger dürfte es in der Bundesrepublik Deutschland geben. Längst sind die Kriegsversehrten schon in der Minderzahl. Verkehrs- und Arbeitsunfälle sorgen für traurigen Nachschub.

Umgerechnet rund 35.000 Schilling kostet das jeweils individuell angefertigte Stück, auch wenn die Einzelteile längst serienmäßig produziert werden. Das Ausland hat sich längst für die Produktionen aus dem kleinen Werk im schwäbischen Böhmenkirch interessiert.

Dort denkt man schon wieder weiter: Nicht nur Amputierte können die Adaptivhand brauchen. Es gibt viele Verrichtungen im technischen Bereich, die man lieber nicht mit der eigenen Hand durchführt. Da kann die Adaptivhand, an die gesunde zur Verlängerung angesetzt, mithelfen, körperliche Schäden zu vermeiden.

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