6850662-1976_45_17.jpg
Digital In Arbeit

Neue Leser fur Josef Roth

Werbung
Werbung
Werbung

Österreich-Ungarn war eine Welt für sich, die, fast möchte man sagen, alle Welt umschloß. Es hat viele Menschen gegeben, die diesen nach Rußland größten europäischen Staat überaus geliebt haben. Zu ihnen gehört Joseph Roth, Jude aus Brody, einem Städtchen an der einstigen russischen Grenze Galiziens, der im Ersten Weltkrieg freiwillig eingerückt war, zuletzt in Paris lebte und geradezu einen Österreich-Kult trieb.

Sein 1932 erschienener Roman „Radetzkymarsch“ (FURCHE, Nr. 43) ist ein schmerzliches Bekenntnis zur untergehenden Monarchie, dem „Land des Gemütes, der Seele, voll Duldsamkeit, vielgestaltig, bunt und reich“. In das Zerbrechen dieses Ge-füges ist fast sinnbildlich der Untergang des Geschlechts der Trotta hineingestellt, des Sohns und Enkels des „Helden von Solferino“, der in dieser Schlacht dem jungen Kaiser Franz Joseph das Leben rettete.

Nun sieht man derzeit unter dem gleichen Titel im Volkstheater eine szenische Einrichtung des Romans, die von Chefdramaturg Heinz Gerstinger und Regisseur Erich Margo hauseigen hergestellt wurde. Dabei geht notwendig Entscheidendes verloren, das Eingebettetsein jedes geringsten Geschehens in eine Uberfülle überaus reizvoller und kennzeichnender Einzelheiten. Es ergibt sich eine Verknappung auf die wesentlichen Geschehnisfakten. Dabei folgen die Bühnenvorgänge mit dem Bezirkshauptmann von Trotta und seinem Sohn, dem Leutnant, weitgehend den Romankapiteln, wobei einzelne Gestalten jeweils berichtend die Verbindung herstellen. Geschickte Raffung des zweiten Teils durch Weglassen der Begebnisse im Umkreis des in einer galizischen Grenzstadt errichteten Spielsaals. Es kommt auch nicht zur Audienz bei Franz Joseph.

Mag gewiß nicht die Wirkung des Romans zu erreichen sein, so kommen die Szenen doch zur Geltung, ja, die Unmittelbarkeit der Bühne vermittelt durchaus Eindrücke von dieser untergegangenen Welt. Regisseur Erich Margo gelingt es, das k. u. k. österreichische spürbar zu machen. Kleine Fehler im Militärischen und vereinzelt im Benehmen des einen oder anderen Offiziers sollten vermieden werden. 32 Darsteller sind eingesetzt. Michael Herbe gibt dem Leutnant von Trotta das Gehemmte, innerlich Unsichere dieses jungen Menschen. Egon Jordan dem Bezirkshauptmann die Haltung des höheren Beamten. Ernst Meister bietet ein vorzügliches Porträt des jüdischen Regimentsarztes Dr. Demant, der im Duell fällt, Harry Fuss skizziert gut den polnischen Grafen Chojnitzki. Frauenrollen sind nur episodisch eingesetzt. Die Schauplätze werden von Rolf Langenfass auf der Drehbühne durch Möbel, vereinzelt durch Versatzstücke, ima-giniert. Im Freien ist es da stets Nacht.

Die Berechtigung, diesen Roman für Aufführungen szenisch einzurichten, wurde von der Kritik mehrfach negativ beurteilt, da „starke dramatische Elemente“ fehlen. Das ist richtig, aber in unserer Zeit des epischen, undramatischen, ja, handlungsarmen oder handlungslosen Theaters ist das kein schlagender Einwand mehr. Skelettierung des Romans? Man sollte die Gerstinger-Margosche Raffung vor allem daraufhin prüfen, ob sie an sich, vor allem dem, der den Roman nicht kennt, also jenseits der Fachwelt und der Literaturliebhaber, Entscheidendes jener Zeit vermittelt. Und das ist wohl der Fall. Wenn die Dramatisierung im Volkstheater zur Folge hat, daß Menschen, die es sonst nicht getan hätten, Josef Roth lesen, ist Wertvolles erreicht. Bei der Lektüre werden sie entdecken, was die szenische Einrichtung schuldig bleiben muß.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung