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Psydiogramm eines Österreichers

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Der „Radetzkymarsch“ wurde dramatisiert. Die bevorstehende Uraufführung im Volkstheater wird dem Werk von Joseph Roth wohl neue Leserschichten erschließen.

Ihren strengsten Kritikern verdankt die Donaumonarchie die beste Werbung. Ihre nichts beschönigenden Zustandsschilderungen sind Protokolle von eigenartigem Reiz. In schmerzhafter Diagnose sprachen sie der Monarchie ihr Urteil wie einem geliebten unheilbaren Kranken. Sie schufen eine Fülle unverwechselbarer Gestalten — durch die sie eine schon zu Lebzeiten legendäre Ära der Vergessenheit entrissen.

Eine davon ist Trotta, menschlicher Antiheld Joseph Roths, der mit überwachen, verfeinerten, aber müden Sinnen durch ein Dasein geht, das von Schatten erfüllt ist. Er ist verurteilt, ein Leben zu leben, das nicht bloß Traum ist — denn das wäre auf gut österreichische Manier noch zu ertragen —, sondern von einer Art Unwirklichkeit ausgelaugt. Es scheint keine Zukunft herein. So gliedert es sich auch nicht in klare Kapitel, logische Stationen, sondern in scheinbar zufällige Episoden.

Eine Kindheit in Grau und Gold. Grau ist der Alltag in der Kadettenschule, die der Enkel des Helden von Solferino selbstredend beziehen muß, golden die Sommer in der mährischen Kleinstadt, in der sein Vater, der Bezirkshauptmann, residiert. Auf dem halbwüchsigen Knaben lastet die Vergangenheit nicht als unbe-wußtes Erbe, sondern als quälende Verpflichtung: sein Großvater hat einst dem noch jungen Kaiser in entscheidender Stunde in der Schlacht das Leben gerettet; sein Vater, übergewissenhaft in der Erfüllung seiner Beamtenpflichten, will gleichsam den Staat vor der national und sozial getönten Unzufriedenheit retten, die sich allerorten zu regen beginnt. Und Carl-Joseph soll das Erbe übernehmen.

1911. Noch existiert das Riesenreich, aber es sind keine Kämpfe nach außen mehr auszutragen. Der Feind ist der Zweifel, der im Innern nagt, und gerade die Besten sind von ihm befallen. Sie sehen, daß der Staat nicht mehr vom Glauben der Völker getragen ist. Das Sendungsbewußtsein, das Gottesgnadentum, auf dem dieses Land, dieser Kaiser stärker als andere Monarchen bauten, ist verloren gegangen. Mit dem müden Greis auf dem Thron scheint auch die ganze Monarchie gealtert.

Trottas Kameraden sind Pessimisten und Zyniker, melancholische Säufer oder selbstzerstörerische Duellanten. Längere Zeit versucht der Protagonist des Romans, sich eine halbwegs soldatische Haltung zu geben, die Beobachterposition einzunehmen, nicht Stellung zu beziehen zu seinem Beruf als Offizier. Die Ereignisse zwingen ihn auch nur gelegentlich dazu, treten dann wie Zufälle von außen an ihn heran: eine flüchtige Liebschaft, der Tod eines Freundes, die Versetzung in eine andere Garnison.

Die allgemeine Stimmung der Menschen ist dieselbe, ob im Schloß des eleganten Grafen Chojnicki, in dem sich charmante Nihilisten ein Stelldichein geben, oder in einem anrüchigen Etablissement. Nach lustloser Pflichterfüllung erfolgt die Flucht in den Lebensgenuß. Nirgends in diesem unwirklichen Leben gibt es ein Verweilen, zeichnen sich Heimat und Zukunft ab.

„Der Winter kam. Am Morgen, wenn das Ulanenregiment ausrückte, war die Welt noch finster. Alle Tage glichen einander wie Schneeflocken. Die Offiziere warteten auf ein außergewöhnliches Ereignis, das die Eintönigkeit ihrer Tage unterbrechen sollte. Aber noch wußte niemand, welcher Art das Ereignis sein würde.“

Selbst der Tod des Helden am Beginn des Krieges wird zum belanglosen Zufall. Er stirbt diskret, wie er gelebt hat. Und doch fällt die hartnäckige Treue auf, mit der Trotta und die anderen Menschen des Romans an ihrem Beruf, ihrer Stellung im Leben wie an einem Schicksal festhalten. Ist es die Liebe zu Österreich, die dem Fatalismus zum Verwechseln ähnlich sieht? Oder zu einer Lebensform voll müder Grazie, die hinüberzuretten selbst den Einsatz des Lebens lohnt? Es sind verzweifelte und müde Spieler, denen das Riesenreich aus der Hand gleitet wie das eigene Leben. Durch Reden versuchen sie, gegen die Vergeblichkeit anzukämpfen, die Haltung bewahren sie bis zum bitteren Ende.

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