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Beginn mit Nostalgie?

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Die Zeichen mehren sich. Der bekannte deutsche Soziologe und Philosoph Arnold Gehlen gab vor kurzem zu, daß er die farbigen Marlitt-Film-Romane der letzten Jahre, trotz vereinzeltem Kitsch, „hinreißend“ finde. Die Sehnsucht nach Erscheinungen und Zuständen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Jahrhundertwende — Nostalgie genannt — greift um sich. Ihr ist wohl auch die Aufführung des seinerzeit so überaus erfolgreichen, mehr als hundert Jahre alten Lustspiels „Die Journalisten“ von Gustav Freytag im Volkstheater zuzuordnen.

Wirken die Vorgänge, die uns dargeboten werden, nicht doch zu bieder, zu harmlos? Im Gefolge des Furchtbaren, in unserem Jahrhundert gab es „absurde“ Dramen, szenische Dokumentationen gravierender oder verbrecherischer Begebnisse, eine Welle von Brutalitätsstücken, dann einen Neonaturalismus des Negativen. In den „Journalisten“ aber wird erklärt: Heute Feind, morgen Freund, heiße es in der Politik. Tatsächlich wechselt Freundschaft zwischen dem Oberst a. D. Berg und dem Professor Oldendorf im Wahlkampf dieser Kleinstadt nur vorübergehend zur Gegnerschaft. Alles renkt sich ein.

Dieser politische Kampf wird vor allem bei zwei gegnerischen Zeitungen und ihren Redakteuren vorgeführt, deren einer Oldendorf ist. Ein allzu zahmes Bild deutscher Tages-schriftstellerei biete das, wurde schon seinerzeit festgestellt. Es fehlt nicht, daß Oldendorf des Obersten Tochter Ida liebt und sie schließlich ein Paar werden. Eine reiche Erbin greift ausgleichend ein. Treffliche Zeichnung der Charaktere, mancherlei liebenswürdig naiver Humor sind die Vorzüge des Stücks. Bei antiquiert wirkenden Zuständen. Aber es spricht daraus Versöhnlichkeit, nichts wird zum Äußersten, zum Verbrecherischen getrieben. Nach Zeiten, in denen dies selbstverständlich war, sehnen sich offenbar die Menschen heute.

Gustav Freytag schrieb im Jahre 1887 in seinen „Erinnerungen“, das

Hauptleiden der Bühnen sei Schwäche und Ohnmacht der Regie. Das hat sich inzwischen in ein hypertrophes Gegenteil verkehrt. Nicht so im Volkstheater. Leider wird hier Freytags Lustspiel unter der Regie von Gustav Manker zu einem derb ausgespielten Schwank verfälscht. Das Liebenswürdige des Stückes, worauf es ankäme, geht verloren. Entscheidender Eindruck: Harry Fuss gibt den Oberst mit — 1852! — „Es-ist-erreicht“-Schnurrbart, forsch „preußisch“, was man ihm nicht glaubt. Als Konrad Bolz exzediert Alfred Rupprecht in Charme, den er nicht hat.

Vorzüglich dagegen Kitty Speiser als reiche Erbin: gewinnend klug, ruhig, überlegen, feinsinnig. Bei ihr ersteht das Lustspiel, wie es Gestalt werden müßte. Peter Wolsdorff ordnet sich da als Oldendorf zu. Eine treffliche Studie bietet Gerhard Steffen als Schmock, gut zeichnet Robert Werner den Blumenberg, Herbert Propst spielt den Piepenbrink wie von ihm gewohnt. Petra-Maria Anze bleibt als Oberstentochter bei viel Schminke farblos. Von Maxi Tschunko stammen 'die ansprechenden Bühnenbilder und sehr schöne Frauenkostüme.

Karl Maria Grimme

Klitsch ist eine Reise wert

Bali in Horn

Eine Fahrt nach Horn, Niederösterreich, lohnt sich nicht nur wegen des Höbarth-Museums, das eine kulturelle Leistung ersten Ranges ist, sondern auch wegen der dort-selbst gezeigten Ausstellung des auf seinen Bauernhof in Raan heimgekehrten Peter Klitsch. Was Peter Klitsch diesmal unter den herrlichen gotischen Wölbungen und angesichts von Renaissancetürstürzen als Ausbeute seiner Ostasienfahrten vorzuweisen hat, steht unter dem Motto: „Bali, eine phantastische Reise“ — Graphiken und Ölbilder als „Illustration“, oder besser: als ausdeutende Überhöhung der in den Vitrinen arrangierten Asiatica-Sammlung, ergänzt auch durch die von Mihoko Klitsch, Peters japanischer Gattin, auf Bali geschossenen Photos.

Was niemand so recht für möglich gehalten hätte, ist Peter Klitsch geglückt; die nahtlose Integration nämlich seiner ostasiatischen Eindrücke, der balinesischen vornehmlich, mit den Ausdrucksformen und den Techniken der Wiener Schule des Phantastischen Realismus, aus der er kommt. (Besonders überzeugend in dieser Hinsicht das Ölbild „100 Jahre Einsamkeit“.) '

Nach dem Besuch der Klitsch-Ausstellung sollte man übrigens einen Rundgang durch das Höbarth-Museum nicht unterlassen. Selten wird man urgeschichtliche Sammlungen, sakrale Kunst und eine Dokumentation der lokalen Geschichte (nicht zuletzt auch über den durch Moritaten unsterblich gewordenen Räuber Grasl) so übersichtlich, so ideal gestellt und gehängt finden wir hier, in den Räumen des alten Bürgerspitals neben dem Hoyos-Schloß. Den Rettern und Erneuerern des Bürgerspitals, das von Barbaren bereits zum Abbruch bestimmt war und an dessen Stelle bereits ein stumpfsinnig rechteckiger Betonklotz geplant war, kann nicht genug gedankt werden.

Die Klitsch-Ausstellung ist noch bis Allerseelen täglich, außer Montag, von 9 bis 12 und von 14 bis 17 Uhr zu sehen. Das Höbarth-Museum wird, nach der Winterpause, am Palmsonntag des kommenden Jahres wieder seine Tore öffnen. Es ist, je nach Distanz, einen Ausflug oder eine Reise wert.

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