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Nicht Kapital fehlt, sondern gute Produkte

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Das Schicksal der von Schließung bedrohten Zellstoffabrik Niklasdorf und allgemein die Industrieprobleme der Obersteiermark standen in den letzten Tagen im Mittelpunkt politischer Beratungen. Sicher sind kurzfristige Maßnahmen notwendig. Nur werden damit die Probleme nicht gelöst.

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Das Schicksal der von Schließung bedrohten Zellstoffabrik Niklasdorf und allgemein die Industrieprobleme der Obersteiermark standen in den letzten Tagen im Mittelpunkt politischer Beratungen. Sicher sind kurzfristige Maßnahmen notwendig. Nur werden damit die Probleme nicht gelöst.

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Die regionalwirtschaftliche Ausgangslage in den Industrieregionen der Mürz-Mur-Furche (d.s. die Bezirke Mürzzuschlag, Bruck/Mur, Leoben, Knittelfeld, Judenburg) sieht grob dargestellt folgendermaßen aus:

• Von den 285.000 Bewohnern beziehen 120.000 (42 Prozent) ihr Familieneinkommen aus der Industrie und dem produzierenden Gewerbe (inkl. Bauwer sen). Die dominierende Grundstoffindustrie (Bergbau, Eisen, Zellstoff) ist in allen westlichen Industrieländern und so auch in der Mürz-Mur-Furche außerordentlich schwerwiegenden technischen Wandlungsprozessen unterworfen.

Die ursprünglichen Standortvorteile (Erzberg, Holz, Wasser) haben ah Bedeutung verloren. Die Preise für die Produktionen in den heimischen Betrieben sind nicht mehr kostendeckend. Produktionseinschränkungen und Arbeitskraftabbau folgen.

Die Umstellung auf den Finalproduktsektor ist sehr zeit- und kostenaufwendig. Nicht vergessen werden dürfen dabei die Umstellungsschwierigkeiten am Personalsektor. Die Arbeitsmarktsituation ist so, daß Facharbeiter Tür die Finalproduktion gesucht, Berg- und Hüttenarbeiter jedoch freigesetzt werden.

• Rund 50 Prozent der Einwohner „leben" vom Dienstleistungsbereich, wobei der Fremdenverkehr relativ schlecht entwickelt ist. Aufgrund der wirtschaftlichen Zusammenhänge ist jede Verringerung der regionalen Wertschöpfung im industriell-gewerblichen Bereich sofort im Dienstleistungssektor zu verspüren, soferne es sich nicht um Dienstleistungsexporte (z. B. Fremdenverkehr) handelt.

• Der Anteil der Land- und Forstwirtschaft ist in den Regionen von Mürzzuschlag bis Judenburg auf ca. 7 Prozent abgesunken, wenngleich klein-räumig (Täler, Bergland) dieser Sektor noch bedeutsam ist.

An die Problemlösung durch ein kurzfristiges Krisenmanagement glaubt heute wohl kaum jemand. Das konnte auch anläßlich der Sitzungen des Lar.desbeirates für Arbeitsmarkt und Wirtschaft und bei der Obersteirischen Raumordnungskonferenz nicht geleugnet werden. Erstens fehlen der öffentlichen Hand die Budgetmittel und zweitens würde die Förderungspolitik nach dem Prinzip des „billigen

Geldes" (ERP-Mittel), Zinsenzuschüsse udgl.) noch lange nicht jene gewünschte Sicherung und Vermehrung der Arbeitsplätze bringen.

Der regionalwirtschaftliche Engpaßfaktor in den Industrieregionen der Mürz-Mur-Furche heißt nicht Kapital, sondern es fehlen für diese Regionen ganz einfach die entsprechenden Produkte.

Es fehlen Produkte, die einen entsprechenden Marktpreis haben müssen, da es im Mürz-Mur-Raum ein relativ hohes Lohnniveau gibt.

Diese neuen Produkte sollten nicht nur bestehende Arbeitsplätze sichern, sondern es müßten aufgrund der Tatsache, daß geburtenstarke Jahrgänge bis Mitte der achtziger Jahre die Arbeitsplatznachfrage in diesen Regionen noch erhöhen, rund 13.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden.

Für Unternehmungen mit „komplexen und anspruchsvollen Produktionen" (z.B. Elektronik, Umwelttechnik udgl.) fehlt aber jene Infrastruktur, die als Standortbedingung bzw. Investi-tions- und Niederlassungsmotiv gelten.

Ein im Amt der Steiermärkischen Landesregierung auf der Grundlage einer bereits seit zwei Jahren laufenden regionalen Raumordnung erstelltes „Raumordnungs- und wirtschaftspolitisches Leitbild" für die fünf Industrieregionen der Mürz-Mur-Furche versucht daher insbesondere jene regionalwirtschaftliche Infrastrukturmaßnahmen aufzuzeigen, die strukturverändernd und regionsstärkend wirken.

Das Grundnetz hochrangiger Verkehrsverbindungen (Pyhrnautobahn, Mürztal- und Murtalschnellstraße, Bahnverbindung nach Graz, Wien, Salzburg und Linz) gehört heute bereits zum Standard konkurrenzfähiger Wirtschaftsräume.'

Gute Verkehrsverbindungen und somit bessere Erreichbarkeit, geringere Transportwege (-kosten) garantieren von sich aus noch keinen regionalwirtschaftlichen „Qualitätssprung", sie können sogar einen verstärkten Absaugeffekt erzeugen. Entscheidend wird sein, inwieweit die regionalen Möglichkeiten zur Hervorbringung bzw. zur schnellen Übernahme von Innovatio-' nen auf dem Produkt- und Produktionsverfahrenssektor genutzt und verstärkt werden können.

Innovationsförderung und Technologietransfer sind für wirtschaftsstarke zentrale Regionen (z.B. Baden-Württemberg, München, aber auch Wien) längst kein Schlagwort mehr. Die Wirtschaftsförderung hat sich dort seit Mitte der siebziger Jahre schwerpunktartig auf diese Form verlagert.

Daher wurde speziell für die Mürz-Mur-Furche ein „Produkt- und Marktforschungszentrum" vorgeschlagen. Damit sollen betriebsnahe und angewandte Forschung und technische Entwicklung betrieben werden.

Wirtschaftlich wirksam wird erfahrungsgemäß die Forschung erst dann, wenn auf der Seite der Betriebe „Ansprechpersonen" vorhanden sind. Zum Aufbau betriebsinterner Entwicklungsstäbe wurde nach bundesrepublikanischem Muster ein Innovationssonderprogramm angeregt, das für einen begrenzten Zeitraum (5 Jahre) einen Personal- und Sachaufwandszuschuß in der Höhe von 50 Prozent vorsieht. Damit sollte vor allem bei kleineren und mittleren Betrieben eine Minderung der Kosten und des Risikos bei_ Innovationen erreicht werden.

Die übergeordneten Gebietskörperschaften und die verstaatlichten Kon-zerne (VÖEST und VEW) sollten ihren Beitrag zur Regionsstärkung in der Form leisten, indem Führungs- und „Denk"-Einheiten verstärkt in obersteirische Standorte verlagert werden.

Der im klein- und mittelbetrieblichen Bereich tätige Unternehmer leidet heute ganz besonders an der Angebotsmenge und -form von Informationen.

Das hat zu einer eindeutigen Bevorzugung und technologischen Expansion von Konzernen und Großbetrieben geführt, die sich Beraterstäbe und technische Entwicklungsabteilungen leisten können. Gerade in der Obersteiermark mit ihrem Holzreichtum, könnte so mancher Klein- und Mittelbetrieb an Neuerungen im Energie-, Recycling-und Umwelttechnikbereich partizipieren.

Orientiert an ausländischen Beispielen sollten ein Steirisches Technologie-Transferinstitut (STETTI) oder eine derartige Angebotserweiterung im bestehenden Wirtschaftsförderungsinsti-tut der steirischen Handelskammer die notwendige Hilfestellung zur Bewältigung Yon betrieblichen Strukturfragen komplettieren.

Eine erfolgreiche regionale Wirtschaftspolitik benötigt zur besseren Koordination und Investorenwerbung ein spezielles Standortberatungsservice, das die Kontakte zu externen Investoren, eine Grundstücksbevorratung und -aufschließung und behördliche Vermittlungen wahrnimmt.

Die regionalpolitisch wichtige Zielsetzung nach Aufrechterhaltung ausgewogener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse, die der Bevölkerung günstige Lebens- und Arbeitsbedingungen sichern, wird in der Mürz-Mur-Furche nur dann verwirklicht werden, wenn Bund, Land und die Gemeinden gemeinsam zur Bereitstellung der oben beschriebenen technischen, personellen und institutionellen Infrastruktur ihren Beitrag leisten.

Der Autor ist Referent der Fachabteilung Regionalplanung des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung.

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