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Singulare Erscheinung

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„Inmitten eines teils durch den Verlust der religiösen Mitte verstörten, teils pluralistisch umgetriebenen Kirchenvolks sind die Chancen für das Emporwachsen einer personal verkörperten Bischofsautorität von vergleichbarem Integrationsradius nicht eben günstig. Nicht nur als ein großer Wurf der Natur, auch von den innerkirchlichen Ermöglichungs-bedingungen her dürfte darum Michael von Faulhaber auf absehbare Zeit zumindest im europäischen Episkopat eine singulare Erscheinung bleiben.“

Mit diesen Sätzen schließt Ludwig Volk SJ das kurze Lebensbild des Münchener Kardinals ab, das er dem 1. Band der „Akten Kardinal Michael von Faulhabers (1917—1934)“ vorausschickt (Band 17 der Veröffentlichung der Kommission für Zeitgeschichte,

Matthias-Grünewald-Verlag, 168 DM).

Die Akten beginnen mit dem Amtsantritt Faulhabers als Erz-bischof von. München-Freising und enden in diesem Band mit einer Rundfrage Faulhabers bei seinen bayerischen Mitbrüdern im bischöflichen Amt, ob man sich in der Haltung zur Saarabstimmung dem Vorgehen der niederrheinischen Kirchenprovinz anschließen solle oder nicht.

Schon hier soll auf etwas aufmerksam gemacht werden, das sich durch das ganze Wirken Faulhabers hindurchzieht. Erstens: Es gibt keine Frage, die er allein entschieden hätte. Immer und zu allem werden seine Mitbischöfe in Bayern konsultiert und um Rat gebeten, der nicht immer mit den Ansichten des

Münchener Kardinals übereinstimmt, den er aber immer sorgfältig berücksichtigt, wobei die klarsten Räte, vor allem ab 1933, vom Eichstätter Bischof „Willibald“, d. h. Konrad von Preysing kommen. Zweitens: Der bayerische Kardinal und seine bischöfliclien Mitbrüder stehen meist“ mit einiger Reserve dem Vorangehen der anderen deutschen Bischöfe gegenüber und verlangen, deutlich sichtbar von 1933 an, mehr Distanz zu den Ereignissen, mehr juristische Klarheit in den Formulierungen gegenüber den Machthabern des Dritten Reiches, was meist auf Konrad von Preysing zurückgeht, einem unerbittlichen, weil klarsehenden Gegner des Nationalsozialismus.

Obwohl Franke von Geburt, traf ihn die Abdankung des Hauses Wittelsbach bis ins Innerste. Ludwig Volk schreibt: „Den Münchener Erz-bischof aber hat nichts persönlich so tief verletzt und kein historisches Ereignis, auch die Katastrophe der Hitlerherrschaft nicht, sein Weltverständnis so bis in die Fundamente hinein erschüttert wie die Entthronung des bayerischen Königtums. Erst nach Jahren stummen Aufbegehrens hat sich diese Wunde' geschlossen, verheilt ist sie nie.“

Aber es war keine Resignation; dazu war er zu sehr ein Mann der Kirche, im wahrsten Sinn ein Führer, ein Fürst der Kirche: „Wie später in den politischen Umbrüchen von 1933 und 1945 ließ der Münchener Erzbischof seinen Diözesanklerus auch in den Novemberwirren von 1918 nicht ohne bestimmte Weisungen. In deutlicher Distanzierung von jenen, die von heute auf morgen eine Gesinnung wechseln können wie eine Kokarde, ermahnte er die Geistlichen zu ihrem Teil an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, an der Förderung des Volkswohls und an der Sicherstellung der Volksernährung mitzuarbeiten, um größeres Übel hintanzuhalten!

Die ausgewählten Akten, Briefe, Protokolle, Gesprächsnotizen lesen sich teilweise wie ein Roman, zumal der Herausgeber durch Fußnoten die genannten Personen näher kennzeichnet, Hinweise gibt, Verbindungen herstellt

Da ist die nie ganz überwundene Auseinandersetzung zwischen Faulhaber und Adenauer auf dem Münchener Katholikentag von 1922, die äußerst heftige Reaktion von Reichskanzler Wirth auf Äußerungen Faulhabers und schließlich,, zum erstenmal in den Akten in einem Brief von Dr. Heinrich Held vom 6. Oktober 1923 erwähnt, „die ganze nationalisti-sche-völkische Bewegung in Bayern, deren Kern die Nationalsozialisten und der Kampfbund mit Ludendorff an der Spitze sind ... Eminenz! Die Gefahr ist riesengroß“.

Uber den Kardinal brach die Hetze dieser völkischen Bewegung nach dem 9. November 1923 herein. Wenige Tage zuvor hatte er dem damaligen Reichskanzler Stresemann geschrieben: „Wie sollen wir über die ins Riesenhafte gewachsene wirtschaftliche Not, über das mit der Arbeitslosigkeit kommende Elend dieses Winters Herr werden, wenn nicht alle sittlichen Mächte ohne Unterschied der Konfession und Standesschicht und Partei zusammenhelfen?

Wie wollen wir sonst den Haß abbauen, der blindwütig über unsere israelitischen Mitbürger oder über andere Volksgruppen in Bausch und Bogen den Stab bricht, oder dem Bürgerkrieg wehren, der unabsehbare neue Verwüstungen anstiften und die Verelendung unseres armen Volkes durch Selbstzerfleischung besiegeln würde.“

In diese Zeit des anbrechenden Unheils fällt auch, auf Anregung Faulhabers, ein Brief des deutschen Episkopats an die Kardinäle Frankreichs, Belgiens, Englands und Amerikas, eine zu späte Antwort auf den Brief Kardinal Merciers an Kardinal Hartmann von Köln im Jahr 1915. Faulhabers Entwurf fand nicht bei allen Gegenliebe, vor allem nicht sein theologisch getarnter Hinweis auf die Kriegsschuld, die erst der Herr der Geschichte am Jüngsten Tag offenbaren werde. So unterblieb dieser Hinweis, aber aufs Ganze wurde Faulhabers Entwurf mit einigen Korrekturen vom gesamten deutschen Episkopat angenommen und an die betreffenden Kardinäle geschickt. Deren Antworten sind in den „Akten“ verzeichnet.

Besonders eng war Faulhabers Verhältnis zum Nuntius Pacelli und über diesen zu Papst Pius XI.

Diese wenigen Andeutungen zeigen bereits, daß die Veröffentlichung dieser Akten, der hoffentlich bald der 2. Band folgen wird, grundlegend für das Verständnis der deutschen Geschichte zwischen 1917 und 1952 sein wird; weil in ihr nicht nur die äußeren Daten dieser Zeit sichtbar werden, sondern ihre geistigen Kämpfe und Auseinandersetzungen, gesehen von einem Mann, der unverbrüchlich einer unzerstörbaren sittlichen Ordnung verpflichtet war und der wie kein anderer der Worte mächtig war.

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