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„So schlecht ist jo unsere Verteidigung: gor net..

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Das Ende glich der Schlußszene einer Komödie: Offiziere waren sichtlich erleichtert, daß das größte Herbstmanöver seit zehn Jahren ohne ärgere Probleme über die Runden gegangen war und die im neuen Verteidigungskonzept festgelegte Strategie der Gesamtraumverteidigung, den ersten Erfahrungen nach zu schließen, doch das geeignete Kampfverfahren für österreichische Verhältnisse zu sein scheint; die Mannschaften waren froh, daß sie nach Tagen endlich aus ihren kalten Schutzlöchern kriechen konnten, genauso wie die Soldaten der Jagdkommandoeinheiten, die tief in den frostigen Wäldern ihre Stützpunkte aufgeschlagen hatten. Und auch die Bevölkerung des Attergaus atmete auf: eine Woche lang hatten mehr als 12.000 Soldaten in ihren Wäldern und Feldern für den Ernstfall geprobt, waren rund 300 Kettenfahrzeuge und 1400 Räderfahrzeuge über ihre Straßen und Wiesen gerollt und 32 Flächenflugzeuge sowie 38 Hubschrauber mit oft ohrenbetäubendem Lärm über ihre Häuser hinweg gerast. Nach dem Manöver zog wieder Ruhe in die Landschaft rund um den Attersee ein.

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Das Ende glich der Schlußszene einer Komödie: Offiziere waren sichtlich erleichtert, daß das größte Herbstmanöver seit zehn Jahren ohne ärgere Probleme über die Runden gegangen war und die im neuen Verteidigungskonzept festgelegte Strategie der Gesamtraumverteidigung, den ersten Erfahrungen nach zu schließen, doch das geeignete Kampfverfahren für österreichische Verhältnisse zu sein scheint; die Mannschaften waren froh, daß sie nach Tagen endlich aus ihren kalten Schutzlöchern kriechen konnten, genauso wie die Soldaten der Jagdkommandoeinheiten, die tief in den frostigen Wäldern ihre Stützpunkte aufgeschlagen hatten. Und auch die Bevölkerung des Attergaus atmete auf: eine Woche lang hatten mehr als 12.000 Soldaten in ihren Wäldern und Feldern für den Ernstfall geprobt, waren rund 300 Kettenfahrzeuge und 1400 Räderfahrzeuge über ihre Straßen und Wiesen gerollt und 32 Flächenflugzeuge sowie 38 Hubschrauber mit oft ohrenbetäubendem Lärm über ihre Häuser hinweg gerast. Nach dem Manöver zog wieder Ruhe in die Landschaft rund um den Attersee ein.

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Ist der „Kampf in Schlüsselzonen“ die Zauberformel, mit der der „David Österreich“ einen „Goliath“ aus Ost oder West, aus Süd oder Nord von einem möglichen Angriff abhalten könnte? Eine Frage, die bei den Gesprächen zwischen Journalisten und Offizieren wiederholt Ausgangspunkt harter Diskussionen wurde. Nicht daß sich die „Schreiberlinge“ aus allen Bundesländern als Militärstrategen aufspielen wollten, nur blieben bei der Erprobung des neuen Kampfverfahrens Fragen unbeantwortet, die in Zukunft gelöst werden müssen. Das war ja auch Sinn und Zweck des riesigen Manöverspektakels im Attergau. Daneben sollte aber auch der Ausbildungsstand der Landwehrtruppen (alles Reservisten) geprobt und die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung und den örtlichen Behörden in die Übung miteinbezogen werden.

General Emil Spannocchi sprach sich vehement dagegen aus, daß bei diesem Herbstmanöver „seine Doktrin“ getestet worden sei. Dennoch: Ob man das neue Kampfverfahren mit „Spannocchi-Doktrin“ umschreibt oder als „Kampf in Schlüsselzonen“ bezeichnet, bleibt letzten Endes ein Streit um des Kaisers Bart. Tatsache ist, daß nicht mehr in einer linearen Front verteidigt wird, sondern die Verteidigungskräfte sich in bestimmte Teile unseres Staatsgebietes zurückziehen - eben in die Schlüsselzonen - die ein Aggressor beim Ein- oder Durchmarsch unbedingt besetzen oder passieren müßte. Nach dem neuen Konzept soll ihm das so schwer wie möglich gemacht werden, sodaß er von vornherein von einem Angriff auf Österreich absieht.

In den Schlüsselzonen befinden sich besonders stark verteidigte Geländeabschnitte, die Schlüsselräume, von denen aus vor allem gegen mechanisierte Angreifer operiert wird. Gegenschlags- und Raumsicherungskräfte fungieren zwischen den einzelnen Schlüsselräumen, um dem Angreifer empfindliche Verluste zufügen zu können.

Ein Kampfverfahren also, das sich für Österreich besonders eignet? Spannocchi und seine Mitarbeiter beantworten diese Frage mit einem eindeutigen Ja. Der Armeekommandant schränkte jedoch ein: „Man muß uns Zeit lassen, um dieses neue Kampfverfahren zu testen, um aus den Fehlem, die bei diesem Manöver sicherlich noch gemacht wurden, zu lernen.“ Kontroversen auch, wenn der Jagdkampf, der bei dem neuen Konzept eine entscheidende Rolle spielt, mit der Taktik der Partisanen verglichen wurde. Die Offiziere wehrten sich gegen den Vergleich: Der Unterschied zwischen Partisanen und den Jagdkommandos des österreichischen Bundesheeres in der Kampfmethode ist zwar nicht auffallend groß (auch Jagdkommandos agieren aus dem Hinterhalt, sollen Nachschubwege unpassierbar machen, dem Agressor durch Überraschungsangriffe Verluste zufügen, Waffendepots und dergleichen in die Luft sprengen), jedoch ihr völkerrechtlicher Status: Jagdkommandos unseres Heeres sind regulär kämpfende Truppen! Dieser Unterschied wird von Bundesheerangehörigen klar herausgestrichen, wenn der Untergrundkampf in Genf Ende Frühling dieses Jahres auch für „hoffähig“ erklärt wurde.

Was aber geschieht, Wenn ein möglicher Aggressor beim Ein- oder Durchmarsch empfindliche Verluste in Kauf nimmt, auf Grund seiner militärischen Übermacht das Ziel bei einer Blitzaktion aber dennoch erreichen würde? Ist die „Spannocchi-Doktrin“ dann nutzlos geworden? Der Armeekommandant, der alle Fragen der anwesenden Journalisten souverän zu beantworten wußte, war auch hier um eine Antwort nicht verlegen: „Ein Krieg kommt nicht aus heiterem Himmel und unsere Mobilmachung im Falle einer politischen Krise würde auch von einem Aggressor nicht übersehen werden. Wenn er durch unser Staatsgebiet durchmarschieren will, wird er auf keinen Fall hohe Verluste in Kauf nehmen, nur um unser Staatsgebiet zu passieren.“

Zum Manöver selbst: Was der Bevölkerung, Politikern und Journalisten geboten wurde, konnte sich auch international sehen lassen. Während der Übung bekamen Manöverbeobachter kaum größere kämpfendä Verbände zu Gesicht, die Verteidiger der Partei „Blau“ hatten sich hervorragend getarnt Als die Übung dann vorbei war, wimmelte es im ganzen Attergau von Truppenverbänden verschiedener Art. Die Bevölkerung konnte sich schließlich selbst davon überzeugen, daß es um unser Bundesheer gar nicht so schlecht bestellt ist, wie das allzuoft behauptet wird: Bei den abschließenden Truppenmanövem waren die Einwohner des Attergaues vom modernen Ausrüstungsstand unseres Heeres jedenfalls begeistert: Typische Bemerkung eines Paradebeobachters: „I glaub, so sehlecht ist jo unsere Verteidigung gor net...“

Was die Sicherung unseres Luftraumes betrifft, schaut das Bild der Verteidigung allerdings kritisch aus. Die „Saab-Staffeln“ machten bei ihren fingierten Angriffen zwar großen Eindruck auf die Zuschauer, zurecht bemerkte dabei jedoch ein Beobachter: „Im Falle eines wirklichen Angriffs, würden keine Saab-Maschinen ihre Bomben ausklinken, sondern super- schnelle Migs, Phantoms und wie sie alle heißen ...“

Was die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung anbetraf, äußerten sich sowohl zivile Behörden und Bundesheerangehörige äußertst positiv. Der Bezirkshauptmann von Vöcklabruck, Hofrat Landl, berichtete über theoretisch durchgespielte Situationen, die im Falle eines Angriffs auftreten könnten: Zwangsevakuierungen und Rettungseinsätze bei Explosionen sowie Flugzeugabstürze wurden durchgespielt. Auch „psychologische Kriegsführung“ wurde getestet. Die Angreifer von der Partei Orange hatten Flugblätter abgeworfen und verteilt, was von den zivilen Behörden sofort mit einem Gegenflugblätt beantwortet wurde, um die Bevölkerung über die wirkliche Lage der Verteidigung zu informieren und sie weiter zu passivem Widerstand ermutigen.

Kosten dieses Riesenmanövers im Attergau: 37 Mülionen Schilling. Das sollte dem Österreicher seine Verteidigung wert sein, wenn die Summe einem Zeitgenossen von links außen auch zu hoch vorkam: Ein aufgeweckter Offizier hatte darauf sofort eine Antwort parat: „JedenfaUs dürfte das Manöver nicht soviel kosten wie die Jubiläumsfeierlichkeiten in der Sowjetunion anläßlich der Oktoberrevolution ...“

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