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„Spitzbubencharme“

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Der Tod des nicht nur in der Steiermark ungemein beliebten Landeshauptmannes und ÖVP-Politikers Josef Kramer im Jahr 1971 werde — so hieß es damals fast einmütig — in der steirischen ÖVP einen in kürzerer Zeit kaum zu kittenden Riß hinterlassen. Als Friedrich Niederl, dem Vermächtnis des populären Verstorbenen folgend, von der ÖVP-Steiermark zum Nachfolger Josef Krainers gekürt wurde, beneidete ihn kaum jemand um dieses schwere Erbe. Die Hypothek des großen Vorgängers, der geringe Bekannt-heitsgrad Niederls und Zweifel an seinen Fähigkeiten, mit genügender Sicherheit und politischer Klugheit die Zügel in der Partei und im Land zu führen, ließen die Chancen wahrlich nicht rosig erscheinen. Nun hat die ÖVP die für Frühjahr 1975 vorgesehenen Landtagswahlen in der Steiermark auf den 20. Oktober dieses Jahres vorverlegt. Es wird sich an diesem Tag zeigen, was Niederl aus dem schweren Erbe gemacht hat, wie er es verwaltet hat.

Das Bild hat sich zweifellos gewandelt. Der 1971 noch rundlich und auch eher gemütlich wirkende Friedrich Niederl hat in den vergangenen drei Jahren, in denen er mit Bienenfleiß an die Arbeit ging, nicht nur an Gewicht verloren und damit sein Äußeres „versportlicht“.

Die Gründe für die Vorverlegung der Landtagswahlen auf den Herbst dieses Jahres werden wohl überwiegend taktischer Natur gewesen sein und sind wahrscheinlich nicht der Initiative Niederls zuzuschreiben. Zum einen will die steirische ÖVP einer durchaus möglichen Nationalratswahl im Frühjahr 1975 aus dem Weg gehen — Landtagswahl und Nationalratswahl würden dann eng zusammenfallen —, zum anderen hofft man, daß den steirischen Sozialisten in diesem Herbst der negative Bundeswind infolge der Inflation

noch ziembch ins Gesicht blasen wird.

All das soll nicht heißen, daß die steirischen Landtagswahlen für Friedrich Niederl und die ÖVP eine „gmahte Wiesn“ sind. Bei den letzten Landtagswahlen im Jahr 1970 erhielten die Sozialisten mit 44,7 Prozent der Stimmen den höchsten Stimmenanteil bei Landtagswahlen seit Kriegsende. Allerdings ist auch der Stimmenanteil der ÖVP mit 48,6 Prozent bei den letzten Landtagswahlen das beste Ergebnis mit Ausnahme des Erfolges bei den Nationalratswahlen 1966. Bei den Nationalratswahlen 1971 erreichte die ÖVP 44,5 Prozent.

Der Gegenkandidat Niederls, SP-Landeshauptmannstellvertreter Adalbert Sebastian, der für die kommenden Landtagswahlen die Erreichung der Mehrheit als Wahlziel nennt, hat auch kein leichtes Erbe angetreten, als er dem prominenten und populären Sozialisten Schach-ner-Blazizek. 1970 als Parteiobmann nachfolgte. Wie Friedrich Niederl ist auch Landeshauptmannstellvertreter Sebastian sehr bemüht, eine Art Volkswahlkampagne durchzuführen. Böse Stimmen behaupten zwar, die SPÖ sei in der Steiermark nicht vorhanden, doch diese Meinung könnte sich als trügerisch erweisen. Der SPÖ-Spitzenkandidat ist sicherlich ein Mann, den man nicht unterschätzen soll, wenn auch Niederls Herzlichkeit und Spitzbubencharme sympathiegewinnender sein mögen.

Wer schließilich das Rennen in der Grünen Mark macht, wird von vielen Komponenten abhängig sein. Die Chancen für Friedrich Niederl und die steirische ÖVP sind vorläufig gut. Aber nicht so gut, daß der Aufstieg Kreiskys nach der Präsidentschaftswahl nicht doch Nachwirkungen haben könnte.

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