6927057-1982_15_07.jpg
Digital In Arbeit

Stürme um die Falkland-Inseln

19451960198020002020

Eine kleine Inselgruppe im Südatlantik bringt England und Argentinien an den Rand des Krieges. In London wankt die Regierung Thatcher. In Buenos Aires lenkt eine Militärjunta mit ihrem Aggressionsakt von inneren Problemen ab

19451960198020002020

Eine kleine Inselgruppe im Südatlantik bringt England und Argentinien an den Rand des Krieges. In London wankt die Regierung Thatcher. In Buenos Aires lenkt eine Militärjunta mit ihrem Aggressionsakt von inneren Problemen ab

Werbung
Werbung
Werbung

Während an diesem 2. April Buenos Aires bereits über die jahrzehntelang erwartete Eingliederung der Falkland-Inseln oder „Malvinas" jubelt, herrscht in London so etwas wie die Lähmung des Erschreckten. Erst sechs Stunden nach dem Fait ac-compli gibt Westminster zu, daß die südamerikanischen Militärs Port Stanley, Hauptstadt des Archipels, eingenommen haben.

Der Sturm bricht los: Medien und Politiker sprechen von „nationaler Demütigung". In der ersten Samstagssitzung des Pariaments seit der Suezkrise vor 26 Jahren bricht der Tumult gegen die Regierung los, besonders Verteidigungsminister John Nott und Außenminister Lord Carrington stehen im Kreuzfeuer von Politikern Opposition und selbst von den Abgeordneten der Partei. Thatcher und die Verantwortlichen hätten die Zeichen an der Wand falsch interpretiert, nicht ernst genommen und rechtzeitiges Einschreiten gewissermaßen verschlafen.

Die Parallelen zur Suezkrise von 1956 sind auffallend — mit einer Ausnahme. Premier Anthony Eden wurde zur Abdankung gezwungen. Thatcher aber;denkt nicht an den Rücktritt, gibt nur zögernd das Placet zum Ausscheiden ihres Außenministers, der in aller Welt in hohem Ansehen steht. John Nott aber kann sie halten, der Chef der Verteidigung muß sich schließlich an Richtlinien halten, die vom Außenamt vorgegeben werden.

Das Außenministerium wird nicht nur vom Vorwurf getroffen, versagt zu haben, untätig gewesen zu sein, wo Vorbeugen ungleich besser gewesen wäre.

Die Diplomatie habe es zudem lange Zeit im Interesse der Briten gesehen, sich der letzten Reste des Imperiums, der Kolonien zu entledigen und in ihrer Strategie auf jede Weise versucht, dieses Ziel durchzudrücken — gegen die energische und irregeführte Resistenz der Falkländer selbst und des Parlaments in London. Dieser Plan hat London naturgemäß in eine Position der Schwäche versetzt, wo Stärke am Platz gewesen wäre.

Die Mobilisierung der stärksten Kriegsflotte in Friedenszeiten, nun auf dem Seeweg in den Südatlantik, ist eine verspätete Reaktion; nachdem vorerst nur auf Verhandlungen gesetzt worden war. Diplomatie und militärische Stärke sind aber, wie man in Whitehall vergessen zu haben scheint, nur zwei Seiten derselben Medaille.

Das Dilemma sitzt tief. Jetzt muß Großbritannien früher oder später Konzessionen machen, nachdem es viele Regierungen unterlassen haben, das heiße Eisen anzufassen.

„Nationale Demütigung", wo doch das Recht auf seiten Londons steht? Die stärkste Karte der Briten ist Argentiniens Verletzung der UNO-Charta und damit des Völkerrechts. Wie immer man heute zur Expansion des britischen Empires stehen mag, die Souveränität der Krone über die Falkland-Inseln besteht rechtens, erworben durch die Ausübung über mehr als 150 Jahre hinweg und durch den Willen der Bevölkerung.

Es ist das Recht der Selbstbestimmung einer Bevölkerung, die zu hundert Prozent britisch ist und nicht das geringste Interesse zeigt, diesen Status zu ändern.

Vorerst steht für London die Beseitigung der erlittenen Schlappe im Vordergrund. Der neue 'Außenminister, Francis Pym, vielleicht der künftige Premier, bekennt sich zum Weg der Verhandlungen, aber warnt zugleich: „Großbritannien beschwichtigt nicht Diktatoren durch Zugeständnisse!"

Geredet kann werden, nur nicht über die Aufgabe der britischen Souveränität. Auch die Argentinier wollen verhandeln, nur nicht über den Abzug.

Die Verhängung der Seeblockade im Umkreis von 200 Meilen um die Inselgruppe beläßt der Junta keine Zweifel: Im Ernstfall wird geschossen, von einer Kriegsmarine, die der argentinischen technisch überlegen ist und bereit ist, selbst Verluste zu erleiden.

Buenos Aires wiederum besitzt an die 2000 Geiseln: die patriotischen und treu der Krone ergebenen Einwohner der Falkland-Inseln. Der südamerikanische Gegner hat die geographische Lage für sich, die Kampflinie in unmittelbarer Nähe.

Die Vereinigten Staaten wirken als Vermittler, so sehr sich auch Präsident Ronald Reagan gegen diese Rolle wehrt. Die delikate Situation des Weißen Hauses in diesem Konflikt ist augenfällig. Freunde hier und Freunde dort. Washington kann die strategisch günstige Position nicht in Gefahr bringen, braucht den besten europäischen Alliierten Thatcher, deren Ablöse durch die amerikafeindliche Labour-Partei nicht riskiert werden kann.

Wo zeichnet sich der Kompromiß ab, den Außenminister Alexander Haig vorantreiben könnte — zu einer Stunde, in der es viel wahrscheinlicher ist, daß Kanonen statt Diplomaten sprechen? Unverbesserliche Optimisten sprechen von einer Hongkong-Lösung, die der durch die selbst ins Rollen gebrachte Logik gefangenen Junta hilft, das Gesicht zu wahren: Wiederherstellung der britischen Souveränität, gemeinsame Administration und endlich rechtmäßige Besitznahme der Malvinas.

Auch London braucht eine Lösung, die sie befähigt, politischen Ballast abzuwerfen. Auf der Strecke bleiben so oder so überzeugte Briten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung