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Thatchers zweiter Falkland-Sieg

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Aufatmen in der Regierung Thatcher: Eine Kommission, die die Vorgeschichte des Falkland-Krieges untersuchte, schiebt der „Eisernen Lady“ und ihrem Kabinett keinerlei Schuld in die Schuhe.

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Aufatmen in der Regierung Thatcher: Eine Kommission, die die Vorgeschichte des Falkland-Krieges untersuchte, schiebt der „Eisernen Lady“ und ihrem Kabinett keinerlei Schuld in die Schuhe.

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Die erste profunde Beurteilung jener Ursachen, die zum Falk- land-Krieg im Frühjahr 1982 geführt haben, nach halbjähriger Arbeit durch die von Lord Frank geführte Kommission erstellt, läßt die politische Szenerie in London so gut wie unberührt. Nein, es ist ausgeblieben, was sich die große Oppositionspartei als Wahlschlager aus der Veröffentlichung des Frank-Reportes erhoffte: der Beweis, daß Margaret Thatcher und ihr Team die Zeichen der Zeit falsch gedeutet, die

drohende Invasion der Inselgruppe durch Argentinien gewissermaßen verschlafen haben.

Was immer an Fehlern, falschen Beurteilungen, Fehleinschätzungen, Mißinterpretation geschehen ist, es fällt in die Bandbreite entschuldbarer Irrtümer. Irren ist menschlich, auch für die „Eiserne Lady“. Frank jedenfalls unterstreicht, daß Unterlassungen unter keinen Umständen den Gang der Geschichte beeinflußt hätten — wären sie vermieden worden.

Des Militärdiktators Galtieris Marschbefehl kam unerwartet, schlagartig. Der Geheimdienst berichtet noch zwei Tage vor dem Einmarsch, daß Buenos Aires keine Anstalten mache, Gewaltmaßnahmen als erste einzusetzen. Wenn der britische Geheimdienst nun die Lage schon falsch beurteilt und nicht imstande war, argentinische Zeitungen zu lesen — die lautstark nach Invasion ge- schrien haben —, so steht er jedenfalls nicht allein. Der Frank-Report räumt mit dem Märchen auf, daß aus den USA die richtigen Vor-

Warnungen gekommen seien. Nichts dergleichen ist geschehen.

Was aus menschlichen, allzumenschlichen Gründen unterblieben ist, um die Katastrophe abzuwenden, ist nunmehr klar: Das „Foreign Office“ (Außenministerium), die einschlägigen Ministerien, der Geheimdienst hätten die Möglichkeit eines gewaltsamen Eindringens viel deutlicher ins Kalkül ziehen müssen.

Lord Carrington, über die Krise zu Fall gebrachter britischer Außenminister, hätte die Falkland- Politik, wie sie seit 1977 unter Labour akut geworden war, zielbewußter vorantreiben sollen: sukzessive Übergabe der Souveränität an Buenos Aires etwa in einem Leih- und Pachtvertrag, während

die Falkländer die britische Staatsbürgerschaft behalten.

Galtieri freilich mußte aus einer, Reihe von Fakten schließen, daß die Briten die Lust an der Verteidigung der Inselgruppe verloren haben:

1967 Rückzug des Oberkommandierenden von Südatlantik, im selben Jahr Aufgabe zweier im Gebiet gehaltenen Fregatten; 1976 keine Antwort auf die Landung eines Expeditionscorps aus Buenos Aires in Süd-Thule; 1976 verschwindet der erste Shakleton-, Report zum wirtschaftlichen Aufbau des Archipels in Londons Schubladen, statt etwas zu tun; lahme und halbherzige diplomatische Offensive Großbritanniens zur Beseitigung des strittigen Problems; Fortdauer des Waffen

verkaufs an Argentinien; schließlich Befehl zum Rückzug des Patrouilleschiffes „Endurence“, des Symbols britischer Verteidigungsbereitschaft im Südatlantik, im Zuge der Einsparungen von Verteidigungsausgaben zu Lasten der Oberwasser-Flotte.

Andererseits hat Thatcher wenigstens zweimal einen deutlichen Warnschuß vor Galtieris Bug abgegeben: Einmal durch den Besuch von Staatssekretär Luce und das zweite Mal via US- Präsident Reagan, der Galtieri übermittelte, eine Invasion wäre ein casus belli.

Für den Diktator, der leider von den Kommissionsmitgliedern nicht verhört werden konnte, war die Notwendigkeit, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten

durch ein Abenteuer zu beseitigen, offensichtlich größer als die Warnsignale aus Europa.

Durch den Frank-Report fällt ein Stein aus der Krone des ehemaligen Premiers James Callaghan. 1977 hat er zusammen mit Außenminister David Owen ein atombetriebenes U-Boot in den Südatlantik geschickt. Die Maßnahme, als Abschreckung gedacht, wurde beim Ausbruch der Krise von der letzten Labourre- gierung Thatcher als Musterbeispiel vorgehalten. Nun enthüllt Frank, daß nicht einmal Buenos Aires vom U-Boot gewußt hat; der Sinn des damaligen Unternehmens steht damit in Frage.

Thatcher verteidigte im Parlament die nunmehrige Politik einer „Falkland-Festung“, das heißt Verteidigung der Inseln aus eigener Kraft, solange Gefahr aus Buenos Aires droht. Frank und Carrington stimmen überein, daß diese Thatcher durch die Invasion aufgezwungene Position die schlechteste aller Möglichkeiten ist. Bliebe noch hinzuzufügen: die teuerste.

Eine andere Wahl aber bleibt ihr nicht, solange keine gemeinsame Basis für Gespräche gefunden ist. Und darauf wird man noch Jahre warten müssen.

London muß also die Wünsche der Falkländer respektieren, die Inselgruppe aus moralischer Verpflichtung schützen — ganz gleich, wie hoch die Kosten auch klettern mögen. Auf lange Frist indessen müssen wieder andere Möglichkeiten ins Spiel gebracht werden: etwa ein Verteidigungspakt mit anderen südamerikanischen Mächten.

So oder so: Die Falkländer werden lernen müssen, sich mit den im Südatlantik herrschenden Fakten, weitab vom Mutterland, abzufinden.

Zur Stunde freilich macht der Report den Weg frei zu Thatchers totalem Sieg. Ihre starke Hand, die unverzügliche Entsendung einer Task-Force, der militärische Sieg — alles wurde zum sogenannten „Falkland-Faktor“ für Thatcher umgemünzt. Bei Frank kann sich Thatcher bedanken, daß dieser Impuls nicht in Vergessenheit gerät ….

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