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Thomas Morus, der Heilige, und die Einheit der Kirchen

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Anläßlich des 500. Geburtstages von Thomas Morus werden in der Kirche St. Dunstan in Canterbury viele Besucher aus aller Welt erwartet. Es ist sicher kein Zufall, daß das Haupt des Heiligen in einer anglikanischen und nicht in einer römisch-katholischen Kirche ruht. Ich bezweifle, ob auch dann so viele Anglikaner wie Katholiken nach St. Dunstan strömen würden, wenn die Reliquie in einem römisch-katholischen Gotteshaus verwahrt wäre. So spricht Thomas Morus heute zu allen Christen.

Wenn Thomas Morus heute, im 20. Jahrhundert, unter uns wäre, was würde er uns raten? Er würde uns raten, auch in der materiellen Erscheinung des Lebens das Geistige zu sehen, um gegenüber der „sichtbaren“ Kirche, ihrer Tradition und gegenüber solchen Dingen und Werten loyal zu sein, die sich über die Jahre hinweg bewährt haben. Wenn nach Änderungen gerufen wird, dann sollten sie innerhalb der gegenwärtigen Struktur der Kirche ihren Ursprung haben, nicht von außen kommen und nicht in Gestalt einer „neuen Kirchenstruktur“. Thomas Morus würde eine geistige „Neu-Schöpfung“ innerhalb der Kirche, eine Art geistige Erneuerung begrüßen.

Thomas Morus, der sich der Stärke und Einheit der Kirche seiner Zeit immer bewußt gewesen ist, würde heute eher die Dinge, die uns verbinden, als jene, die uns trennen, unterstreichen. Er würde den Geist der Toleranz und der christlichen Liebe begrüßen, in welchem sich die Angehörigen der christlichen Kirchen heute begegnen. Die Duldsamkeit war keine Tugend des mittelalterlichen England, und streitbare Christen neigten dazu, einander gegenseitig zu verdächtigen und die Redlichkeit ihrer Absichten in Zweifel zu ziehen. Thomas Morus würde Anzeichen dafür wahrnehmen, daß Gott seine Kirche vor Kurzem in der Tagung der Internationalen Anglikanisch-Römisch-katholischen Kommissionen und ihrer gemeinsamen Erklärungen geführt hat.

Morus würde wohl eine stärkere Beteiligung der Laien in der Kirche von heute begrüßen. Er hat stets Wert darauf gelegt, daß die allgemeine katholische Kirche aus dem Klerus, dem Laienvolk und allen besteht, die - ohne Rücksicht auf ihre Sprache - zusammenstehen und sich zum wahren katholischen Glauben bekennen. Da die Anglikaner auch der Meinung sind, daß ihr Glaube ebenfalls katholisch ist, sind die Unterschiede ihrer Auffassungen heute vielleicht nicht so groß, wie wir denken. Thomas Morus würde wohl die Meinung vertreten, daß die Einheit der Christenheit und der Kirche nicht heißt, die einzelne Kirche müßte ihre Tradition und Identität aufgeben. Die christliche Einheit muß in der Zukunft eine Bereicherung sein. Sie ist nicht etwas bereits Existierendes oder Erreichtes. Für jede Kirche wäre es vermessen, solches zu behaupten, wenn wir den Skandal unserer Trennung im Leib Christi betrachten. Wie Erzbischof Michael Ramsey, der frühere Erzbischof von Canterbury, zu sagen pflegte: „Das Wachsen der Einheit geht Hand in Hand mit dem Wachsen der Heiligkeit.“ Je heiliger aber jemand wird, desto hellhö riger wird er wahrscheinlich für die Fehler und Begrenztheit der Kirche Christi.

Die Anglikaner sind empfindlich gegenüber der Tatsache, daß sie nicht offiziell mit den römisch-katholischen Brüdern und Schwestern an der Eucharistie teilnehmen können, obwohl sie selbst getaufte Christen sind. Der eine Akt, der uns vereinen sollte, trennt uns immer noch. Und vielleicht würde Thomas Morus uns sagen, daß wir uns in erster Linie mit der unvergänglichen Kraft des Einen vereinigen, der gestorben ist, damit alle Menschen leben können, wenn wir uns zur Eucharistiefeier am Altar nähern.

Gott hat uns oft gesagt, was wir zu tun haben, nicht aber warum wir tun müssen, was er uns abverlangt. Im Herz der Christenheit steht das Kreuz als Symbol der Selbstaufopferung. Thomas Morus hat selbst erfahren, was das bedeutet. Er ist nicht davor zurückgeschreckt, sein eigenes Leben für die Wahrheit aufzuopfern. Die christliche Kirche muß heute ebenso von ihm wie von Christus dasselbe lernen und zu ähnlichen Opfern bereit sein. Das ist der Preis, den wir für die Einheit zu leisten haben. Der Heilige Geist wird uns nur dann in diese tiefere Einheit führen, wenn wir alle ihrer würdig sind.

Die Anglikaner werden zu einigen Opfern in Bezug auf den päpstlichen Primat bereit sein müssen. Thomas More würde heute wahrscheinlich den kollegialen Aspekt der kirchlichen Führung begrüßen, da das, was für ein allgemeines Konzil gilt, wahrscheinlich dem heutigen Kollegialsystem entspricht und Morus die Autorität des allgemeinen Konzils entschieden von der Geimeinschaft der ganzen Christenheit abgeleitet hat.

Die Funktion des Papstes ist Morus zufolge die eines Statthalters, eines Richters und Administrators. In solchen Vorstellungen wie jener, daß der Papst nicht als absoluter Monarch betrachtet wird, daß er Christus nicht ersetzt sondern vertritt, daß die Rolle des Papstes grundsätzlich die eines Dienenden ist - in allen diesen Ideen gibt es eine gemeinsame Basis mit den Anglikanern.

Die Wiener Katholische Akademie veranstaltet am 3. Mai einen Festakt zu Ehren Thomas Morus, bei dem Rev. Albin und Prof. Willibald Plöchl sprechen werden.

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