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Übern Tellerrand
Es ist Zeit, den Blick über den Tellerrand hinaus zu erheben, von dem. der deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker dieser Tage in Harvard sagte, bei vielen Bewohnern westlicher Demokratien verfange sich dieser genau dort. Muß man da nicht fürchten, in Österreich reichte er bisweilen nicht einmal bis zum Kaffeehä- ferlrand ?
Anders ist nicht zu erklären, daß das wichtigste Ereignis seit dem Beschluß zur Entwicklung der Atombombe dieser Tage kaum einen Kommentar gefunden hat.
Die NATO hat sich geeinigt, auf den Sowjetvorschlag auf Abbau aller Mittelstreckenraketen zwischen 500 und 5000 km Reichweite in Europa einzusteigen. Im Oktober werden Reagan und Gorbatschow einen Vertrag darüber unterzeichnen.
Den Illusionisten wird dieser Pakt zeigen, daß kühle Rechnungen, die beiden Seiten nützen, allemal noch solidere Abmachungen ergeben als die bestgemeinten irrationalen „Signale“ (etwa einseitige A brüstung als Vorleistung).
Den Realisten wird er Hoffnung machen, diesen Weg fortzusetzen. Natürlich ist es gut, daß taktische Gefechtsfeldwaffen mit unter 500 km Reichweite vorläufig in Europa bleiben — um das Ungleichgewicht bei der nichtatomaren Rüstung nicht sofort zum Tragen zu bringen.
Noch immer stehen 3J8 Millionen Soldaten des Warschauer Paktes nur 2,4 Millionen NATO-Soldaten gegenüber. Bei Panzern lautet das Verhältnis derzeit 50.000 : 22.500, bei Kampfflugzeugen 8000 : 4600 — aber auch darüber will Gorbatschow mit sich reden lassen.
Wie ehrlich er es meint, wird sich zeigen. Viele Beweise müssen hier noch Mißtrauen abbauen. Aber: ,J)er Dialog hat erstmals eine Chance“, urteilt auch Christoph Bertram vom Londoner Institut für strategische Studien.
Spektakuläre Konsequenzen ergeben sich aus all dem für die Politik, aber auch für die Wirtschaft beider Supermächte und ihrer Verbündeten. Auch die neutralen Staaten werden sich gewissen Konsequenzen nicht entziehen können. Die Bereitschaft zur A bwehr lokal begrenzter Angriffshandlungen muß zunehmen.
Um noch einmal Weizsäk- kers Harvard-Rede zu zitieren: „Wer sich nicht mehr verteidigen kann, ist nicht mehr politikfähig. Aber die Politik dient nicht der Verteidigung, sondern die Verteidigung der Politik.“
Seine Politik glaubwürdig und verteidigenswert zu formulieren, ist auch Österreich aufgerufen.
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