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Umgang mit Psalmen

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Es gibt Punkte, Situationen im Leben „wo keine Kosmetik mehr hilft und es nichts mehr nützt, sich jugendlich zu verkleiden“. So schreibt der heute in München lebende Dichter Heinz Piontek in seinem Essay „Umgang mit Psalmen“. Er zählt sie zu den zeitlosen Dichtungen, die es zu wie-der-holen, wieder herbei zu holen gilt. Denn sie enthalten die wesenlichen Weisungen für das menschliche Leben, wo es zwischen Geburt und Tod, Segen und Fluch, Leid und Freude steht. Piontek hat dann auch selbst moderne Psalmen gedichtet, die in dem Buch „Psalmen, vom Expressionismus bis zur Gegenwart“, herausgegeben von Paul Konrad Kurz, zu finden sind.

„Der als Kenner der zeitgenössischen Lyrik ausgewiesene Herausgeber hat mehr als 230 Texte von rund 100 Autoren (unter ihnen große Namen der Lyrik unseres Jahrhunderts) gesammelt, in eine sinnvolle, aufschlußreiche Ordnung gebracht und mit den notwendigen literaturgeschichtlichen und bibliographischen Hinweisen im Anhang erschlossen“, stellt der Verlag seinen Autor vor.

Es ist erstaunlich, wie viele Psalmendichtungen es in unserem Jahrhundert gibt; allerdings nicht immer oder nicht mehr im selbstverständlichen Vertrauen des Alten Testamentes, sondern gewandelt von der heutigen Skepsis in Bewußtsein und Sprache. Schon das erste Kapitel „Schwierigkeiten der Psalmsänger heute“ bringt den Vers von Marie Luise Kaschnitz: „Die Sprache, die einmal ausschwang, Dich zu loben / Zieht sich zusammen, singt nicht mehr / In unserem Essigmund“. Abgebrochen scheint das alte Gespräch zwischen Gott und Mensch: „Wenn wir fragen, schweigst Du.“ Im Anhang weist Kurz auf „Aufbau und Auswahl“ hin, auf die Gesichtspunkte, unter denen er die gegenwärtige Psalmendichtung sieht: Psalmvertrauen und AntiPsalm, Naturpsalmen und politische Psalmen, Psalmen jüdischer und nichtjüdischer Autoren, christlicher Autoren von gestern und heute.

Die Wichtigkeit eines solchen Unternehmens erläutert Kurz: Innerhalb der Kirchen schwand die sprachliche Kraft immer mehr, sie verlor zusehends die Fähigkeit Erfahrungen von Wirklichkeit mit religiösem Sprachbewußtsein zu verbinden, „ihre Rede ist flächig wie eine asphaltierte Straße“. Ein großes Mißtrauen gerade derer, die sich der

Sprache verantwortlich fühlen, hat daher um sich gegriffen und der nach der Liturgiereform in Aussicht gestellte seelsorgliche Erfolg ist ausgeblieben, weil eine bloße Kosmetik landessprachlicher Unternehmungen, vor allem in der Liturgie, unglaubwürdig wird, wenn man sich nicht auf die Verantwortung der Sprache besinnt. Eine alles zerredende Geschwätzigkeit, die sich modisch aufputzt, ihre Einfälle von enthusiastischen „Spiegel“- und „Pro-fil“-Lesern bezieht und damit auf metaphysischen Strich geht, kann wohl nicht mehr als dem Logos verpflichtet angesehen werden.

Günter Eich sagt es einmal: „Von Gott kann man nicht sprechen, wenn man nicht weiß, was Sprache ist. Tut man es dennoch, so zerstört man seinen Namen und erniedrigt ihn zur Propagandaformel.“ Einige Beispiele, die Kurz in den „politischen Psalmen“ anführt, wirken erschrek-kend.

Als Schule für Verkündigung und Gebet, wie sie den Zeitgenossen noch erreichen und für ihn unter den gewandelten Umständen noch erträglich sein kann, ist diese Neuauflage von Psalmen höchst bedenkenswert.

PSALMEN VOM EXPRESSIONISMUS BIS ZUR GEGENWART. Herausgegeben von Paul Konrad Kurz, Verlag Herder, Freiburg-Wien, 1978, öS 268,60.

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