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Romano Guardini

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Der Werkbund-Verlag in Würzburg hat zwei Vorträge Guardinis herausgegeben. Der erste unter dem Titel „Der unvollständige Mensch“ wurde auf der Jahrestagung des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute in Düsseldorf 1955 gehalten. „Unvollständig“ ist der heutige Mensch, weil er menschlich hinter seinen äußeren Leistungen der Weltentdeckung zurückgeblieben ist: „weil er jene Distanz vom unmittelbaren Geschehen in Laboratorium, Werk und Büro, wie sie nötig ist, um Zusammenhänge von solcher Tragweite verstehen zu können, nicht mehr hat; die Maßstäbe, nach denen Dinge beurteilt werden müssen, von welchen morgen einfachhin die Existenz aller abhängen wird, nicht mehr sieht; über jene innere Freiheit, die dem ungeheuren Gefälle der in Bewegung geratenen Probleme, Motive, Interessen, organisatorischen Entwicklungen gewachsen wäre, nicht mehr verfügt“. Leistungen werden erst dann zur Kultur, wenn der Mensch den Ueberblick über sie hat: „nicht mit dem ZfTgehen auf die Dinge, sondern mit dem Zurücktreten von ihnen beginnt die Kultur“. In dieser Gefahr, daß wir den Zusammenhang zwischen geleisteter Welt und menschlichem Leben verlieren, schlägt Guardini „geistliche Uebungen“ vor: daß jeder sich einmal im Jahre in die Stille und Menschenferne zurückziehe, um im Abstand von der Alltäglichkeit zu sich selbst zu kommen. Außerdem sollten wir versuchen, dem Sonntag seinen naturalen Sinn wiederzugeben, das heißt den Rhythmus von sechs Arbeitstagen zu einem wirklichen Ruhetag in religiösem Sinne. Und ebenso könnte zur Distanzgewinnung beitragen, wenn sich jeder Tätige an jedem Tage eine Viertelstunde der Stille herausspare. Auf diese Weisen ließe sich die vorläufige Unvollständigkeit des Menschen langsam einholen.

Der zweite Vortrag wurde am 6. Jänner 1956 im Bayrischen Rundfunk gehalten unter dem Titel „Der Heilige in unserer Zeit“. Eine kurze Skizze des

„Heiligen“ im Verlauf der christlichen Geschichte („Der Heilige, im Neuen Testament“. „Der Heilige der Außerordentlichkeit“; „Der Heilige der Unscheinbarkeit“) führt zur Darlegung dessen, was wir Heutigen an Heiligsein erreichen können: die Liebe Gottes zu tun in jedem gegenwärtigen Augenblick, indem wir das je Gegenwärtige im Namen des Herrn und im Auftrage Gottes vollziehen. Die Außerordentlichkeit, wie Guardini es nennt, müßte als ständiges Korrektiv dem unscheinbaren Heiligen vor Augen stehen: daß das Alltägliche mit außergewöhnlicher Liebe getan werden müßte ...

Der gleiche Werkbund-Verlag beginnt, die Universitätspredigten Guardinis, im sonntäglichen akademischen Gottesdienst zu München in der Sankt-Ludwigs-Kirche gehalten, zu veröffentlichen. Unter dem Titel „Wahrheit und Ordnung“ hat der Prediger die Erklärung einiger Psalmen unternommen. Bisher liegen die beiden ersten Hefte vor: 1. Heft: Der Geist der Psalmen; Psalm 1; 2. Heft: Psalm 22 und Psalm 90. — Diese meisterlich angewandte Theologie der Psalmen zeigt, was Psalmen sind und was sie für unser Leben bedeuten. „Die Psalmen sind Wort Gottes; Wort, das Er sagt, indem ein von Ihm ergriffener Mensch sein Menschenwort spricht. Sie sind Offenbarung, die zum Heil führt.“ Anderseits richtet sich der Beter der Psalmen an den „Herrn“ — an jenen, der souverän ist und Freiheit gibt. Der Beter darf sich mit all seinem gekonnten und noch ungekonnten Leben, mit all seiner inneren Ungereimtheit an diesen Gott wenden: die Psalmen betend, erkennt der Mensch besser, was er eigentlich ist, indem er Dinge zur Sprache bringt, die Gott vom Menschen weiß — wie abgründig und Unfertig, wie sehr unterwegs auch noch der Christ ist. So offenbart Gott in diesen Gebeten den Menschen dem Menschen, und je mehr Psalmen als Gebete genommen werden, um so mehr Heil fließt aus ihnen.

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