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UNO-Umzug nach Genf?

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25 Jahre nach den internationalen Vereinbarungen über Vorrechte und Befreiungen der UNO-Körperschaften in der Schweiz stellt sich erneut die Frage nach deren Existenz. Standen damals Unverletzlichkeit der Gebäude und Archive, Steuerbefreiung und Immunität in erster Linie zur Debatte, so geht es jetzt um die Frage einer Erweiterung der UNO-Präsenz oder gar einer völligen Übersiedlung in die Schweiz.

Durch eine Botschaft des Schweizer Bundesrates an das Parlament vor kurzem ist dieser Möglichkeit theoretisch Tür und Tor geöffnet. Obwohl Kanton und Bund bereits jetzt jährlich an die 100 Millionen Franken für alle internationalen Organisationen mit Sitz Genf ausgeben, soll das Kongreßzentrum laufend zügig ausgebaut werden. An seinem Ende könnte es bequem die gesamte UNO in seinen Mauern beherbergen.

Die Zahlen sind eindrucksvoll, mit denen die Präsenz der weiten Welt im kleinen Genf dokumentiert wird. Mehr als 80 Regierungen und zwischenstaatliche Organisationen sind ständig in Genf vertreten — am Tedl- sitz der UNO, der EFTA, beim GATT, beim internationalen Fem- meldeveredn, bei der Weltgesundheitsorganisation, der Internationalen Arbeitsorganisation, der CERN, dem Roten Kreuz und dem Weltkirchenrat. Konsequent nimmt die Zahl der Tagungen zu — ihre berühmtesten sind die Indochinakonferenz von 1954, die Gipfelkonferenz von 1955 sowie die Laoskonferenz von 1962.

Trotzdem blieb Genf im Schatten New Yorks, wo noch immer die große Politik gemacht wird — und auch das noch größere Geld ausgegeben wird. Nicht zuletzt von dem gastgebenden

Land, den USA, die bisher fast ein Drittel der Kosten aus eigenem bestritten haben. Aber der politische Wind an der Rhone und am East River weht aus verschiedenen Richtungen. Viele Ostblockstaaten zumal, aber auch ebenso viele der dritten Welt, würden einen Umzug in das Schweizer Klima begrüßen.

Genau an diesem Punkt aber erheben sich die größten Probleme. Eine UNO in Genf müßte politische Entscheidungen treffen, d!ie notfalls auch mit militärischen Aktionen, wie etwa während der Suezkrise, verbunden wären. Damit würde aber der neutrale ‘Status der Schweiz an einer entscheidenden Stelle verletzt werden. Bis zur Klärung dieser Frage könnten lediglich einige Zweige des Generalsekretariats nach Genf verlegt werden — die Vollversammlung ails oberstes Organ muß notgedrungen vorerst in New York bleiben.

Der andere Widerstand gegen eine Verlegung der UNO nach Genf kommt aus den Reihen der Genfer selbst Schon jetzt leidet die Stadt an der Rhone weitaus mehr unter den Belastungen ihrer internationalen Gäste, als daß sie von ihnen profitierte. Kein Kanton der Schweiz, nicht einmal die Stadt Zürich, kann sich mit der Wohnungsnot und den Wohnungspreisen Genfs messen. Die

Gäste zahlen in Dollars für Wohnungen anstandslos den gleichen Preis, den der Schweizer in Franken auszugeben bereit ist: mehr als das Vierfache also. Straßen, Dienstleistungen und nicht zuletzt Gebäude werden zur Verfügung gestellt, ohne daß die Gastgeber Steuern dafür kassieren können. Die öffentliche Hand bleibt leer. Die Rechnungen der Ausländer müssen schon jetzt von den Genfern matbezahlt werden.

Trotzdem wird über kurz oder lang die Frage eines Umzugs vom East River an die Rhone nicht zuletzt von den Russen gestellt werden, die sich in der UNO-Metropole ihres westlichen Widerparts alles andere als wohl fühlen. Die „Belästigungen“ sowjetischer Diplomaten durch militante Juden in New York würden sich in Genf kaum ereignet haben…

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