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Vergessener Kraftlackel

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„Ich habe immer wieder beobachtet, daß das wirkliche Volk immer weiter vom Lesen der Bücher abkommt, weil es ja selbst viel besser erzählen kann als alle Bücher.“ Diesen seinen Satz hat der bayrische Dichter Oskar Maria Graf zwar selber nicht sehr ernst genommen (sonst hätte er vielleicht aufgehört zu schreiben und sich aufs Zuhören verlegt), aber er hat dem Volk „auf das Maul geschaut“.

Im Wiener Museum des Zwanzigsten Jahrhunderts gibt es seit kurzem eine Dokumentationsausstellung über Oskar Maria Graf. Eigentlich seltsam für ein Museum moderner Kunst, daß es auf einen Schriftsteller verfällt, um die Herbstsaison zu eröffnen. „Notnagel soll der Graf keiner sein“, betont man dort heftig. Ob Notlösung oder nicht, die Ausstellung gibt Anregungen, sich wieder einmal mit einem Autor zu beschäftigen, den man fast schon vergessen hat. Man kennt vielleicht seinen Namen, weiß auch, daß er 1938 vor den Nationalsozialisten nach Amerika emigriert ist, und man kennt vor allem ein Schlagwort über Graf: „Der bayrische Kraftlackel, der auch Schriftsteller war.“

Jetzt beginnt der Süddeutsche Verlag, die Bücher von O. M. Graf wieder aufzulegen, den Vergessenen wieder ins Bewußtsein zurückzurufen. Des-

halb auch die Ausstellung in Wien. Briefe, Faksimiledrucke, viele Photos, Urteile von anderen Autoren, alles fein nebeneinandergeordnet, kann man bis 15. Oktober im Zwanzgerhaus noch sehen. Und man nimmt dann vielleicht einen Band von Graf zur Hand - und ist gleich gepackt.

Denn erzählen und fabulieren, das konnte er, der urwüchsige Bayer. „Sein eigentlichter Beruf ist Bäcker,

seine Berufung das Schreiben“, hat einmal ein Kritiker über Graf geurteilt. Geboren wurde Graf 1894 in der Nähe des Starnberger Sees. Die bayrische Landschaft, die bayrische Kultur waren auch tief verwurzelt in seinem Denken. Graf, der urgemütliche hemdsärmelige Koloß, der Stammtischtrinker, der mit den einfachen Leuten genauso gut reden konnte wie mit „gelehrten Professoren“ - das sind zwar Klischees, die der Literaturtratsch gerne kolportiert, im Fall von Oskar Maria Graf aber stimmen sie. Er war so.

Doch beim Schreiben - da hörte sich für Graf die Gemütlichkeit und urige Fröhlichkeit auf. Da wird aus dem Stammtischtrinker ein gefährlicher ätzender Kritiker, der den Leuten nicht nur „aufs Maul schaut“, sondern ihnen auch übers Maul fährt. Mit kräftigen, saftigen Sätzen, mit bösartigen Schilderungen des Landlebens, mit scharfen Beobachtungen, die jedes Klischee von ländlicher Bierseligkeit zerstören.

Graf war ein ungeheuer fleißiger Schreiber, so an die zwanzig Bände hat er herausgebracht. Nicht alle sind Uterarisch vollkommen, doch alle sind ungeheuer farbig, spannend. Graf konnte Menschen darstellen, konnte Eigenschaften skizzieren wie kaum ein anderer. Und er wurde - zumindest in den zwanziger Jahren - sehr gerne gelesen. Auch wenn seine Bücher immer „am Rande der Zensur geschrieben“ waren.

Graf ist von Kindheit auf Sozialist gewesen. Und hat aus dieser Einstellung auch nie ein Hehl gemacht. Bis es ihm in Bayern zu gefährlich wurde und er nach Wien emigriert ist (1933). Hier hat er sogar aktiv bei den Sozialdemokraten mitgewirkt. Als er 1933 bei der Verbrennung der mißliebigen Literatur in Deutschland „vergessen“ wurde, schrieb er nebenstehenden Brief an Goebbels, worauf die Verbrennung seiner Werke in München nachgeholt wurde. 1938 wurde ganz Europa zu gefährlich, und der Bayer mußte in ein Land, in das ihn normalerweise zehn Pferde nicht gebracht hätten. In New York war er verloren, ein Fremder in einer Masse von Menschen, mit denen er nichts zu tun haben wollte.

„Oskar Maria Graf gehört zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellern unseres Jahrhunderts. Seine Werke sind ebenso zeitklärend wie überzeitlich, und er war eine der markantesten Persönlichkeiten der deutschen politischen und literarischen Emigration. Sein gesamtes Werk ist vom Geist einer neuen, aktiven Humanität erfüllt.“

Das schrieb Carl Zuckmayer. Viel mehr kann man über diesen „bayrischen Kraftlackel“ eigentlich gar nicht sagen.

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