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Villon als Opernheld
Franęois Villon braucht man wohl nicht besonders vorzustellen. Dennoch ist es vielleicht gut, daran zu erinnern, daß der 1431 in Paris Geborene einer der kühnsten und originellsten Erlebnislyriker aller Zeiten war. In seinen vielen tausend Versen mischt sich Visionäres, tief Religiöses mit bitterster Skepsis, rebellische Gesellschaftskritik, frecher schwarzer Humor mit illusions- loser Einsicht in die Vergänglichkeit alles Irdischen, Troubadourklänge mit respektlosem Bänkelsang. Sein Werk war lyrisch, sein Lebän dramatisch, ein ruheloses Vagabundentum über die Landstraßen, durch Kneipen und Freudenhäuser, eine genialisch-wüste Existenz, immer wieder durchschauert von Reue und Zerknirschung, Kongruenz von Leben und Dichtung. Dieses Leben verliert sich im Dunkeln, mehr als dreißig Jahre wird es nicht gezählt haben, vielleicht endete es am Galgen.
Dieses dramatische Leben zu dramatisieren, lag nahe. Zuerst sollte es ein Tanzlibretto werden, erdacht von dem Tänzer Bert G. Norbert, das Ballett kam jedoch nie zustande. Dr. Peter Brenner, der Oberspielleiter der Freiburger Oper, schuf einen Operntext, wobei er weithin auf Gedichte Villons zurückgriff, so daß seine Gestellt so erstehen sollte, wie er sich selbst in seiner Dichtung darstellte. Kernstück ist Franęois Villons berühmtes und erschütterndes „Zwiegespräch mit meinem Herzen”. Das dramaturgische Konzept, das an dem Titel „Traum unter dem Galgen” erkennbar wird, hat die Figur des Dichters Villon gedoppelt und auf einen Sprecher und einen Sänger auf geteilt: Villon sieht sich selbst, unter einem Galgen träumend, in fünf Stationen seines historischen oder legendären Lebens, sein Ich ist gespalten und kommentiert sich selbst durch seine originalen Verse. Dieser dramaturgische Kunstgriff und das aus Villons baliadesker Lyrik schöpfende Libretto sind eigentlich das Beste an dem neuen Werk.
Die Musik stammt von Peter Sand- loff, einem in Berlin lebenden Komponisten, der bisher hauptsächlich durch Ballett- und Filmmusiken bekannt geworden ist. Seine Opem- musik, etwas zu häufig an Vorbilder wie Weill, Orff oder Alban Berg erinnernd • die Liste wäre- noch zu erweitern — weiß stellenweise Atmosphäre und Stimmung zu verbreiten, die Instrumentierung ist raffiniert und apart, aber leider fehlt es so gut wie durchweg an der musikdramatischen Spann- und Schlag- und Zündkraft. Es wird zuviel deklamiert, es gerät alles zu emphatisch und pathetisch, der Komponist gerät immer wieder dorthin, wo er gerade nicht hinwollte, ins konventionelle Opemklischee — Franęois Villon als Heldentenor, das ist eine Vorstellung, die einer gewissen Komik nicht entbehrt, das Makabre bleibt harmlos, der schwarze Galgenhumor fehlt völlig. Nur dort, wo hinterm Unzulänglichen Villons Dichteiwort noch durchschlägt, wird es packend, aber leider mangelt den gängigen deutschen Übersetzungen der Charme und die Aggressivität des Originals.
Die Oper der Städtischen Bühnen Freiburg unter der musikalischen Leitung von Generalmusikdirektor Thomas Ungar und der plastisch durchmodellierten Regie von Doktor Peter Brenner erschufen die Uraufführung mit viel Liebe, Hingabe und Sorgfalt. Am Schluß gab es herzhaften Beifall, in den sich freilich auch Pfiffe und Buhrufe mischten, als der Komponist erschien.
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