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Digital In Arbeit

Wegwerfen

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Wo konsumiert wird, entsteht Abfall. Seine Menge verhält sich proportional zum Konsum. Au­ßerdem abfallenden Unbrauch­baren verursacht die Konsum­gesellschaft auch Berge von weggeworfenem Brauchbaren. Versiert Suchende können ihre Funde machen. Das Wachstum der Wirtschaft und ihr Florie­ren beruhen auf der Kurzlebig­keit unserer Freude an den Dingen. Noch ehe sie sich selbst abnützen, hat sich unser Inter­esse an ihnen abgenützt. Und sie erleiden den unnatürlichen Tod des Weggeworfenwerdens.

Der Einkaufsbummel ist eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Was ist stärker, die Lust am Einkaufen oder das Verlangen nach dem Besitz der Dinge?

Der 1896 in Budapest gebo­rene Psychoanalytiker Michael Baiint entwickelte eine Theorie der „Grundstörung", die durch den Verlust der ursprünglichen Harmonie des Kindes mit sei­ner ihm wesentlichen Umwelt entsteht. Die Menschen reagie­ren auf zwei verschiedene Wei­sen auf diesen Verlust: okno-phil und philobatisch. Der Oknophile klammert sich an die Objekte. Ohne sie fühlt er sich verloren. Der Philobat hinge­gen braucht leere Räume. Ob­jekte bedrohen ihn.

Der von den Geschäftsstra­ßen bis zu den Müllcontainern schweifende Blick führt zur Annahme, daß die Mehrzahl der Menschen dem oknophilen Typus angehört. Die Bedeutung der Objekte für das seelische Befinden scheint außer Zweifel zu stehen, unabhängig von ih­rer Schönheit oder Nützlich­keit. Warum aber verlieren sie, wenn sie so wichtig sind, so schnell ihre Attraktivität? Die Menschen heften ihre „primäre Besetzung" offenbar nur noch an die Neuheit der Dinge.

Vielleicht läßt sich dieses Phänomen mit der technischen Herkunft der Mehrzahl der begehrten Produkte erklären. Es liegt in ihrem Wesen, heute bewundert zu werden und morgen oder spätestens über­morgen zum alten Eisen zu gehören. Das Leitobjekt der Epoche, das Auto, prägt die allgemeine Beziehung der Kon­sumenten zu den Produkten. Ein neues Auto ist alles, ein altes ist nichts. Vom technischen Ding erwartet man Perfektion in Funktion und Aussehen. T)ie kann es aber nur im Zustand der Neuheit bieten. Nur so lan­ge ist es das Identifikationsob­jekt seines Besitzers. Um die­sem Zustand den Schein einer Stabilität zu geben, verleihen die Firmen Garantien.

In einer Zeitschrift wurde der Wohlstand zweier Länder an­hand der elektrischen bezie­hungsweise elektronischen Ge­räte verglichen, die die jeweili­gen Bewohner in ihren Heimen angesammelt haben. Die Pyra­mide verlief vom Staubsauger bis zum Personal Computer. Dabei fällt die Perversion des Verhältnisses auf: je kostpieli-ger ein Gegenstand ist, umso kurzlebiger ist er. Denn Luxus, das ist teure Kurzlebigkeit.

Baiint meinte mit seiner Theo­rie, daß die Menschen auf die erlittene Störung ihrer innigen Mutter-Kind-Beziehung am Beginn ihres Lebens mit Re­gression reagieren, indem sie sich im oknophilen Fall Objek­ten zuwenden. Ihr Problem ist dadurch ein zwischenmensch­liches. Inzwischen scheint aber auch ihre Beziehung zu den Objekten gestört zu sein. Wir müssen uns daher die üble Bezeichnung „Wegwerfgesell­schaft" gefallen lassen.

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