6983239-1986_17_05.jpg
Digital In Arbeit

Wer wird das mit uns durchstehen ?

Werbung
Werbung
Werbung

Als jüdische Österreicherin fühle ich mich entblößt, weil ich in den letzten Wochen so viele meiner Mitbürger nackt gesehen habe. Der Schrank meiner Hoffnungen war ausgekleidet mit vielfarbigen Mänteln, die Jung und Alt in den vergangenen Jahren um mich und meine Glaubensgeschwister ausgebreitet hatten. In den tiefen Faltenwürfen wähnten wir uns geborgen, trotz mancher zyklisch wiederkehrender Windstöße.

Nach dem Staatsvertragsjahr kamen die peitschenden Güsse vorerst alle zehn Jahre, jetzt werden die Abstände immer kürzer.

Anno 1965 nahm ich an der ersten Demonstration meines Lebens gegen den antisemitischen Hochschulprofessor Taras Bo-rodajkewycz teil; anno 1975 erfolgte die Absolution der Ewiggestrigen ohne geistigen Reinigungsprozeß durch die Affäre Kreisky-Peter-Wiesenthal. Für diejenigen, die bis dahin dem Gesinnungs-Kreisky und nicht dem Taktiker-Kreisky zugetan waren, ein Schlüsselerlebnis. Und schließlich der kürzeste Barometer-Abstand von Februar 1985 (Frischenschlager-Reder) bis Frühjahr 1986.

Bei diesen kurzen und heftigen Stürmen bisher zogen wir den Mantel enger, suchten nach anderen Frierenden oder Fröstelnden, schmiegten uns vertrauensvoll an ebenfalls Erschaudernde, ihr — mit uns — Beben half wieder den Kragen aufzustellen, die Ärmel hochzukrempeln, um weiterzustol-pern...

Wir glaubten an das gute Futter in diesem Schutzmantel, an die undurchlässige Imprägnierung. Die unzähligen offenherzigen Diskussionen, die Fülle an Informationen in Bild, Ton und Schrift müßten doch etwas bewirkt haben.

Wir wollten daran glauben, daß durch die Entmystifizierung der jüdischen Religion und ihrer Riten auch die, zum Teil damit zusammenhängenden, Vorurteile aus den Herzen, Gedanken und dem verbalen Ausdruck längst im Mottensack verschwunden waren.

Aber nein, wieder einmal wurde die Sprache zur bleischweren Schnalle, die sich in die Magengrube schob. Die bisher nur sparsam und polittak-tisch einsetzende Enttabuisie-rung der Sprache im Zusammenhang mit dem Jüdischen (eine erste gewisse Befreiung von Zwängen in dieser Hinsicht brachte schon die Existenz eines jüdischen Kanzlers — Juden als Israelis waren sowieso schon immer vogelfrei) kam jetzt einem riesigen Dammbruch gleich.

Es drängten sich viel zu viele zu diesem enthemmenden Spracherguß. Wie wenn sie bis jetzt frustriert im Ärmelloch gesteckt wären, beim ersten Signal krochen sie hervor, und obwohl sie eher besonnen nach frischer Luft hätten schnappen sollen, wetteiferten und geiferten sie nach Worten, die bereits bitterste Erfahrung mit Unheil gemacht hatten.

Leider teile ich den Optimismus jener nicht, die glauben, daß das Gute an diesem schwersten Einbruch in das gegenseitige Vertrauen eine längst überfällige Aufarbeitung der jüngsten Geschichte dieses Landes sein wird. Alle Seiten werden nach Ruhe rufen, und die seelische Hygiene wird auf der Strecke bleiben... bis zur nächsten Selbstzündung.

Es wird wieder Windstille herrschen, die Verdrängung wird sich ab und zu durch föhniges Kopfweh bemerkbar machen. Meine Empfehlung: auf jeden Fall einen leichten Uber-zieher bereithalten, der alte, vertraute Mantel ist beschädigt.

Die Autorin ist gemeinsam mit Joanna Nittenberg Eigentümerin, Herausgeberin und Chefredakteurin der «Illustrierten Neuen Welt“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung