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WERTVOLLE BIBEL IN „ERSTAUSGABE”

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Eine der wertvollsten mittelalterlichen Bibelhandschriften, die Vorauer Volksbibel, liegt nun als vollständiges Faksimile vor. Der „Zwilling” der prächtigen Historienbibel wurde seit 1986 in Zusammenarbeit des Chorherrenstiftes Vorau (Oststeiermark) mit der renommierten Grazer Akademischen Druck- und Verlagsanstalt (ADEVA) in vier Bänden mit limitierter Stückzahl herausgegeben.

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Eine der wertvollsten mittelalterlichen Bibelhandschriften, die Vorauer Volksbibel, liegt nun als vollständiges Faksimile vor. Der „Zwilling” der prächtigen Historienbibel wurde seit 1986 in Zusammenarbeit des Chorherrenstiftes Vorau (Oststeiermark) mit der renommierten Grazer Akademischen Druck- und Verlagsanstalt (ADEVA) in vier Bänden mit limitierter Stückzahl herausgegeben.

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Im Rahmen einer großen Präsentation in der Bibliothek des Stiftes Vorau wurde die nun vollständige Faksimile-Ausgabe einem breiten Publikum vorgestellt. Das prunkvolle barocke Ambiente der Bibliothek mit Fresken des Malers Ignaz Gottlieb Kröll, beherbergt neben der Volksbibel auch über400 andere wertvolle Handschriften, die bis in das 9. Jahrhundert zurückgehen. Der Prälat des Stiftes, Rupert Kroisleitner definiert es so: „Die Vorauer Stiftsbibliothek ist seit 260 Jahren ein Ort des Schreibens und des Dialogs mit der Geschichte.” So symbolisieren auch die drei Dek-kengemälde die großen Wissenszweige, die in der stiftischen Büchersammlung mit über 40.000 Exemplaren vertreten sind: Philosophie, Theologie und Jus. Raritäten in der Bibliothek, die einen Besuch lohnt, sind neben der ins ehemalige Handschriftenzimmer führenden Doppel Wendeltreppe, die 1688 von Vincenco Coro-nelli angefertigten Globen sowie parabolisch gehöhlte Schallmuscheln. Sie machen, Besucher können es selbst ausprobieren, Geflüster der einen Seite auf der anderen hörbar.

Datiert auf den Tag genau

Die Zusammenarbeit des Stiftes Vorau mit der Akademischen Druck-und Verlagsanstalt in der „reprografi-schen Konservierung” begann schon in den fünfziger Jahren mit Auszügen aus der sogenannten „Vorauer Kaiserchronik”. Sie ist mit ihren etwa 30.000 Versen die älteste und umfangreichste Sammelhandschrift in frühmittelhochdeutscher Sprache. Den vorläufigen Schlußpunkt setzte die Faksimilierung der Volksbibel, mit der im Jahr 1986 begonnen wurde. Mit dem 920 Seiten umfassenden Werk der Volksbibel ist erstmals ein vollständiger Faksimiledruck einer deutschsprachigen Historienbibel erschienen. Die um 1467 entstandene Vorauer Volksbibel ist eine der am reichsten bebilderten Werke dieser Zeit. Mit ihren 559 Illustrationen gegenüber 250 in vergleichbaren Werken nimmt sie in den 100 bedeutungsvollsten Handschriften des deutschen Sprachraums unumstritten den höchsten Rang ein.

Die Bibel kann eigentlich sogar auf den Tag genau datiert werden. Auf fol. 447v findet sich eine entsprechende Eintragung des Schreibers, die auf das Fertigstellungsdatum 31. Oktober 1467 schließen läßt: „(...) ist geendt waren in vigilia omnium sanc-torum anno domini M CCCC 67”. Der Name des Schreibers ist nicht überliefert. Es dürfte sich jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit um einen in religiösen Belangen wohlunterrichteten Geistlichen aus dem süddeutschen Raum gehandelt haben. Ungeklärt ist auch, wie die Handschrift ihren Weg nach Vorau gefunden hat. Ihre erste Nennung dort fällt in das Jahr 1733.

Das Faksimile entspricht bis in die kleinsten Details dem Original, das für die Herstellung in seine einzelnen Seiten zerlegt werden mußte - ein Vorgang, bei dem, so Stiftsarchivar Ferdinand Hutz, „einem das Herz blutet”.

Die Aufnahmen der Seiten wurden direkt im Stift Vorau gemacht. Jedes Blatt wurde mit Laser-Scannertechnik erfaßt und unterlag während der Produktion strengen Kontrollen. Pro Seite wurden manchmal bis zu 20 Stunden Produktionszeit aufgewendet, um den originalgetreuen Charakter zu erhalten. Unzählige Male mußten die ADEVA-Mitarbeiter zwischen Graz und Vorau pendeln, um die Farbübereinstimmung zu vergleichen. Auch das Druckpapier, hergestellt von der obersteirischen „Ley-kam-Mürztaler AG”, entspricht in Oberflächenstruktur und Stärke der Vorlage und ist durch seine absolute Säurefreiheit unbeschränkt haltbar. Echte Handarbeit in der Herstellung waren der Randbeschnitt und der Ledereinband, um den materiellformalen Charakter der Faksimili zu wahren.

Die Auflage der Bände in der Originalgröße von 405 mal 285 Millimeter ist weltweit mit 480 Stück limitiert, deshalb ist die Bibel neben ihrem historischen Wert auch für Sammler und als Geldanlage (Preis pro Band zwischen 21.000 und 28.000 Schilling) interessant. Der Direktor der ADEVA, Manfred Kramer: „Die Volksbibel gehört zu den zehn interessantesten Faksimilearbeiten des Verlags.” Die Faksimilierung schaffe einen breiten Zugang, um Inhalte wiederzufinden und mit ihnen zu arbeiten. Kramer wörtlich: „Bei einem Faksimile handelt es sich eigentlich um die Erstausgabe eines Manuskripts”. Stiftsarchivar Hutz zitierte dazu den steirischen Dichter Peter Rosegger: „Des Menschen Wissen ist weit geworden wie das Meer, aber man kann darauf verdursten”. So diene die Faksimilierung dazu, die Werke einem großen Kreis von Menschen zugänglich zu machen und, im Fall der Volksbibel, eine stete Begegnung mit dem Wort Gottes zu ermöglichen.

Historische Spuren

Der erste Band der Volksbibel, der im Jahr 1989 erschienen ist, beinhaltet den neutestamentlichen Teil (fol. 355v bis 458v) mit den beiden Prologen. Dem Schluß folgt eine kurze Chronik der Kaiser und Päpste sowie die Epistel des Rabbi Samuel an Rabbi Isaak in der deutschen Übersetzung des Irmhart Öser.

Im zweiten Band ist der alttestamentarische Teil (fol. lr bis 123r) vom Buch Genesis bis Buch Deutero-nomium enthalten. Im dritten Band (fol. 123r bis 232r) sind das Buch Joshua, das Buch der Richter, Buch Rut, erstes und zweites Buch Samuel sowie das erste und zweite Buch der Könige mit „Dy historien der Romischen Kunig” zu finden.

Der letzte Band, der die Ausgabe vervollständigt (fol. 232r bis 355v), enthält die Bücher Tobias, Ijob, Ezechiel, Daniel, Godilias, Susanna, Bei und Drache, Habakuk, Esra (I), Judit (mit Inzidenz von Lucius Tarquinius), Esra (II), Nehemia, Ester, Erstes und zweites Buch der Makkabäer sowie einen glossierten Auszug aus den Pro-phetenbüchem des alten Testaments.

Eine Begegnung mit dem Wort Gottes im Lauf der Jahrhunderte ermöglichte auch eine Bibelausstellung, die zur Fertigstellung der Faksimilebibel im Stift eröffnet wurde. Einige prunkvolle Originale als auch Faksimili der ADEVA, wie jenes der Prager Wenzelsbibel, waren ausgestellt.

Eine Besonderheit, die zu sehen war, ist das „Vorauer Evangeliar” aus dem 12. Jahrhundert. Es wird auch heute noch in der Profeßfeier - der Aufnahme eines Chorherren in die Gemeinschaft - verwendet. Seit Jahrhunderten ist es Tradition, daß der Schwurfinger auf das Johannes-Evangelium gelegt wird - eine Tatsache, die schon historische Spuren im Band hinterlassen hat.

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