7127524-1997_10_24.jpg
Digital In Arbeit

Die Wiedervereinigung des zerrissenen R amsey- Psalters

Werbung
Werbung
Werbung

Die Erzeugnisse der mittelalterlichen Buchkunst sind nicht nur außerordentlich wertvoll, sondern auch ungemein empfindlich. Originale werden nur noch selten ausgestellt, und wenn, dann in gedämpftem Licht, um ein Verblassen der Farben zu verhindern. Und auch dann sieht man selbstverständlich nur die .aufgeschlagenen Seiten. Selbst Forscher nehmen die Originale so selten wie möglich in die Hand.

Zwei Möglichkeiten gibt es, sie verfügbar zu machen: Neben der neuen, wirtschaftlichen Speicherung auf CD ROM das gute, alte, aber teure Faksimile. Ein nach allen Regeln der Kunst hergestelltes Faksimile ersetzt auch für fast alle wissenschaftlichen Zwecke das Original. Nun geht die auf solche Vorhaben spezialisierte Akademische Druck- und Verlagsanstalt in Graz (ADEVA) noch einen Schritt weiter. Der sogenannte Ramsey-Psal-ter ist zwar weltberühmt, existiert aber als geschlossenes Buch nicht mehr. Im Jahre 1809 enthielt er noch 173 Folioblätter. Wann die fünf Folios von sechs bis zehn, die fast den gesamten Psalmen vorgehefteten Bilderzyklus enthielten, aus dem Buchblock herausgetrennt wurden, ist unbekannt. Sie gelangten auf unbekannten Wegen über Leipzig nach Paris, wo sie im Jahre 1907 der amerikanische Bankier John Pierpont Morgan jr. erwarb. Sie zählen heute zu den größten Schätzen der Pierpont Morgen Library in New York. Der Best befindet sich in der Stiftsbibliothek von St. Paul im Lavanttal.

Nun gelang es der ADEVA, dem größten Spezialverlag für hochwertige Faksimiles auf der Welt, den vollständigen Ramsey-Psalter wenigstens als V aksimile wieder herzustellen. Die Zusammenführung des Getrennten ist allerdings nicht der einzige Umstand, der das Ramsey-Faksimile selbst in diesem exklusiven Marktsegment als etwas Herausragendes erscheinen läßt. Dafür sorgen zusätzlich erstens die außerordentliche künstlerische Qualität der Miniaturen - und zweitens die besonders aufwendige handwerkliche Ausgestaltung.

Die Figuren haben Schwung, Be wegung, starken mimischen Ausdruck, Interaktion. Während normalerweise die Verwendung von Blattgold auf die Miniaturen beschränkt blieb, wurde beim Ramsey-Psalter auch für die größeren und kleineren Initialen, für die Randdekorationen, ja sogar in den kürzesten Zeilenfüllungen Gold verwendet, wobei lineare Ziselierungen und Streumuster häufig das Material beleben.

Der Codex galt in jedem Kloster, das ihn besaß, als besonderer Schatz. Am Beginn des 14. Jahrhunderts in der Abtei Bamsey entstanden, war er als persönliches Gebetbuch des Abtes bestimmt, der, als Oberhaupt einer „mitrierten” Abtei bischöflichen Bang innehatte.

So beliebt Stifterbilder in der Tafel- und Wandmalerei der Zeit waren, so selten kommen sie in der Buchkunst vor. Daß der Stifter des Ram-sey-Psalters, William of Grafham, in Wort und Bild (in einem Rundmedaillon, siehe Abbildung) vorkommt, ist eine weitere Besonderheit des Werks, das von Grafham, dem Cellerarius, dem für die wirtschaftlichen Belange der Abtei Verantwortlichen von 1303 bis 1316, als Geschenk für den von 1288 bis 1316 amtierenden Abt John of Sawtry in Auftrag gegeben wurde. Die Ausstattung des Psalters entspricht seinem Bang: Sämtliche Blätter, also insgesamt 300 Seiten, weisen künstlerisch überaus bemerkenswerten Buchschmuck auf: In den stilisierten pflanzlichen Ornamenten tummelt sich allerlei Getier, in den Zeilenfüllungen „wohnen” Grotesken, zwölf prächtige großräumige Initialen stellen zum Teil bildliche Zitate des Psalmentextes dar. Auf den zwölf (zum Großteil herausgetrennten) Miniaturseiten entfaltet sich in 40 Szenen die 1 leilsgeschichte.

Abt Sawtry starb 1316, der Psalter wurde Teil der Stiftsbibliothek, muß diese aber noch vor Ende des 15. Jahrhunderts verlassen haben. Für drei Jahrhunderte ist er dann in der Benediktinerabtei St. Blasien in der Diözese Konstanz nachweisbar.

Nach der Aufhebung der deutschen Klöster brachten die aus St. Blasien vertriebenen Mönche den Psalter mit 120 anderen Codices an ihre neue Wirkungsstätte St. Paul im Lavanttal.

Nun wird dieses herausragende

Stück mittelalterlicher Buchkunst für Bibliophile, die es sich leisten können, im wahrsten Sinn des Wortes greifbar. Dabei lohnt es sich, schnell zuzugreifen: Die Subskriptionsfrist dauert noch bis Ende März. Bis dahin beträgt der Subskriptionspreis für das in einer Auflage von 280 handnumerierten Exemplaren hergestellte Faksimile 80.880 Schilling, der endgültige Preis sodann 99.800 Schilling.

So exklusiv ein solches Produkt ist, nur das kleine, aber engagierte Sammlerpublikum macht solche Vorhaben überhaupt erst möglich. Das heißt: Ohne dieses Publikum würden die wenigen Exemplare, die weltweit von den wissenschaftlichen Bibliotheken angekauft werden (beziehungsweise die sie sich leisten können), für diese Institutionen unerschwinglich.

Der Aufwand bei der Herstellung entspricht allerdings auch dem Preis. Ein solches Faksimile ist nicht einfach ein möglichst farbgetreu gedrucktes Buch. Das Faksimile gleicht dem Original in jedem Detail. Wo Blattgold verwendet wurde, wird Blattgold verwendet, wo der Goldgrund ziseliert wurde, wird er in gleicher Weise ziseliert, alle Materialien sind ident. Das Erfordernis der Identität ist nur durch rigorose Selektion erfüllbar, weshalb ein Mehrfaches dessen gedruckt wird, das dann Verwendung findet. Alles, was nicht entspricht, wird vernichtet.

Die Gleichheit, die schon das Wort Faksimile („Gleichgemachtes”) ausdrückt, erstreckt sich auch auf den Einband, dessen Schließen und so weiter. Im konkreten Fall stammt der Originaleinband aus dem Frühbarock, die Holzdeckel sind mit Leder überzogen, die Kanten auf drei Seiten abgeschrägt, die Prägung des Leders wurde direkt vom Original abgenommen, die Bindetechnik entspricht bis zur stabilen Verpflückung der Bundschnüre der frühbarocken. Nur eine Abweichung vom Original gestattete man sich: Eine beschädigte Schließe wurde funktionsfähig rekonstruiert.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung