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Wider die Schwerkraft

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Margot Fonteyn tanzte im Zweiten Programm des Fernsehens „Schwanensee" von Tschaikowsky und „Undine“ von Henze nach Fouąuė. Eine noch sehr jugendliche Lady Fonteyn, vor irgendwelchen undenklichen Zeiten von Paul Czinner in einer Technik verfilmt, die heute weder der Kinoleinwand noch und geschweige denn dem Bildschirm gerecht werden könnte, weil ja auf dem Bildschirm die Überwindung der Schwerkraft durch Training und unsägliche Selbstdisziplin zum bloßen mühelosen Spiel gewichtsloser Marionetten herabsinkt. Verzögerte Sprünge, die allen Gesetzen des freien Falles zu spotten scheinen, reduzieren sich hier auf die Distanz von wenigen Zentimetern, Schwünge und Drehungen werden zum friedlichen Kreisen kleiner, lichtsprühender Pünktchen.

Dazu kam in diesem Film die für kontinentale Augen ungenügende und ungelenke Bühnentechnik des Royal Opera House of Covent Garden, kam bei den Ausschnitten aus „Schwanensee" jene angebliche Handlung, die keine ist und die mit jeder neuen Aufführung für den Beschauer nur noch absurder wird, kam ein Corps de ballet, das an Exaktheit manches zu wünschen übrig ließ und dessen Leistungen nicht so turmhoch über denen ihrer Kollegen an unserer Staatsoper stehen — über den Leistungen der Damen und Herren, die vom Wiener Publikum unterschätzt werden, weil das Ballett so selten zum Zug kommt…

Das alles kam dazu, und dennoch! Der veraltete, mittelmäßige Film wurde zum großen Erlebnis, er wurde durch Lady Fonteyn in den Rang einer echten Dokumentation erhoben: zur Dokumentation über die von ihr erreichte Vollkommenheit beherrschter Bewegung, über die von ihr er reichte Verklärung des menschlichen Körpers durch kühle Schönheit, ausgewogene Proportion und sublimierten Eros.

Für die äußerliche Beschreibung des Ereignisses fehlt mir das fachmännische Vokabular und ich begreife zwar, was unter einem Pas de deux zu verstehen ist, ich ahne zur Not, was Battements sein könnten, aber schon bei den Entrechats beginnt meine totale sprachliche Unbeholfenheit, was Ballettdinge anlangt. Nichtsdestoweniger aber und dennoch sage ich, daß Lady Fonteyn eben wirklich vollkommen war, wert der Lobpreisung, auf die allein es in solchen Fällen ankommt, und nicht auf die Kenntnis technischer Einzelheiten, wie mir einst ein Großer der Tanzkunst, meine zögernde Aussage ermutigend, zu verstehen gab.

Dieser Große der Tanzkunst war ein Österreicher, Prof. Toni Birkmeyer, der unter uns lebt, in Wien, und dessen Sohn Michael ebenfalls — in der wievielten Generation eigentlich? — Solotänzer der Wiener Staatsoper wurde. In den zwanziger und bis in den Beginn der dreißiger Jahre war Toni Birkmeyer die laut Richard Strauss ideale Verkörperung seines Josef in der „Josefsiegende". Strauss selbst rief dem jungen Birkmeyer während der Proben vom Dirigentenpult her zu, was zu tun und wie es gemeint sei: „Trioien müssen Sie springen, Trioien!" Wie springt man Trioien? Birkmeyer wußte es und er weiß es noch heute. Er kam sogar, ohne den letzten Atem zu verlieren, mit Knappertsbusch zurecht, der alles, natürlich auch die gesprungenen Trioien, doppelt so langsam dirigierte. Er, Birkmeyer, könnte seinem Sohne sagen, wie man das macht, die Tradition bliebe ungebrochen. Es müßte sich ein Choreograph finden, vielleicht von den Qualitäten eines Aurel von Milios, der diese überhitzte Mischung aus der Zwischenkriegszeit (religiös-erotischer Expressionismus war damals letzter Schrei) wieder auf den Urgedanken Hofmannsthals zurückführen könnte, auf die Idee, nicht herkömmliches Ballett tanzen zu lassen, sondern ein Bild von Paolo Veronese zu beleben.

Von dieser ursprünglichen, später leider verballhornten Idee ausgehend, und ausgehend von der ungebrochenen Tradition einer Wiener Familie, in der sich die Begabung zum Solotänzer vom Vater auf den Sohn forterbt, wäre doch allen Ernstes zu überlegen, ob nicht die Möglichkeit, ein einst berühmtes Ballett wiederzubeleben und femsehgerecht zu gestalten, einen Produzenten dazu reizen könnte, seinerseits das Experiment zu wagen und eine Dokumentation zu schaffen, die den Streifen von Paul Czinner nicht nur durch inzwischen fortgeschrittene Technik, sondern vor allem durch größeren optischen Spielraum, raffiniertere Bühnengestaltung, Geschmack, Zurückhaltung, vielleicht sogar durch Veronese-Farben übertreffen könnte.

Dies sei mit allem Vorbehalt gegenüber einem Buch ausgesprochen, in dem freilich nicht viel von Hofmannsthal übrigggeblieben ist, und gegenüber einer Musik, die ein Nebenwerk, aber doch immerhin von Richard Strauss ist. Und es sei hineingesprochen in die Atmosphäre von Wagnis und Großzügigkeit in kulturellen Dingen, die seit seiner Reform zu den erfreulichsten Erscheinungen im ORF zählt.

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