6835582-1975_12_16.jpg
Digital In Arbeit

Wie ein Mensch ohne Gesicht...

19451960198020002020

Die Ereignisse sirid schneller als wir. Aber die Grenzen der Erhaltung unseres kulturellen Erbes scheinen jetzt erreicht. Was Kultur und Natur nicht nur in unserem Lande eigenartig und einzigartig geschaffen haben, ist mehr und mehr von einem fragwürdigen Fortschritt von der Technik, der Industrialisierung, ja der .ganzen Zivilisation bedroht. Die kostbärsten Zeugen und Beweisstücke unserer Kultur wurden und. werden vielfach barbarisch zerstört, mißhandelt, verschandelt — mittelbar und direkt.

19451960198020002020

Die Ereignisse sirid schneller als wir. Aber die Grenzen der Erhaltung unseres kulturellen Erbes scheinen jetzt erreicht. Was Kultur und Natur nicht nur in unserem Lande eigenartig und einzigartig geschaffen haben, ist mehr und mehr von einem fragwürdigen Fortschritt von der Technik, der Industrialisierung, ja der .ganzen Zivilisation bedroht. Die kostbärsten Zeugen und Beweisstücke unserer Kultur wurden und. werden vielfach barbarisch zerstört, mißhandelt, verschandelt — mittelbar und direkt.

Werbung
Werbung
Werbung

Österreichs architektonisches Erbe, ein lebenswichtiger Teil seiner Geschichte, wertvolle Reste gewachsener Bindungen, hat nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere in den Jahren des Wirtschaftswunders und der Profitspekulationen, schwere Einbußen erlitten. Heute ist man bestrebt, Maßnahmen gegen die zumeist planlose barbarische Entwicklung zu tun —, doch kommen sie in vielen Fällen jedenfalls zu spät.

Dabei sollte der Kampf gegen die um sich greifende Uniformierung, Häßlichkeit, Zersiedelung und Ver-schandelung, wo Profitgier und Verpestung der Umwelt Orgien feiern, schon längst begonnen haben, wollen wir nicht auch den noch verbliebenen Rest unseres historischen und kulturellen Erbes zur Gänze verlieren.

Qualitätvolle Bauten, die unseren schön gewachsenen Ortschaften und unserer Landschaft ihr charakteristisches Aussehen verliehen haben, die längst schon zu Wahrzeichen geworden sind, opfert man der Spitzhacke. Zugunsten fragwürdiger Neuerungen, einer fehlgeplanten Straße oder anderer unüberlegter, unmenschlicher, profitversprechender, klobiger und häßlicher Neumonstren. Die hier abgebildeten Bilder zeigen eine kleine Auswahl der in Österreich seit 1945 für immer verlorengegangenen großen und kleinen Baudenkmäler, an deren Verlust wir alle mehr oder weniger Schuld tragen.

Heute, da die Zahl der noch existierenden Bau- und Kunstdenkmäler in Österreich gewaltig zusammengeschmolzen ist, gut erhaltene Stadtkerne und Bauensembles bereits zur Rarität geworden sind, zählt freilich jedes einzelne Objekt, jeder noch stehengebliebene Straßenzug, jede alte Häusergruppe, jeder Ausblick auf unverfälschte Architektur und unberührt gebliebene Landschaft. Nun heißt es, allen Relikten der Vergangenheit ausnahmslos die Zukunft sichern. Umdenken tut not. Durch ein besseres, strengeres Denkmalschutzgesetz, durch Aufstellung eines lückenlosen, kompletten Verzeichnisses aller Kunst- und Baudenkmäler nebst ihrer genauen Dokumentation, durch Zuwendung größerer finanzieller Mittel für die Erhaltung und Restaurierung, und vor allem durch eine großangelegte, gezielte Aufklärung der gesamten Bevölkerung über den unersetzlichen Wert und die Bedeutung aller kulturhistorischen Bauwerke einschließlich der anonymen Volksarchitektur. Denn ein Land ohne Geschichte ist wie ein Mensch ohne Gesicht.

Das Europäische Jahr der Denkmalpflege 1975 darf nicht zu Ende gehen, ohne daß alle hier angeführten Postulate in die Tat umgesetzt oder zumindest bindend beschlossen werden. Andernfalls degradieren wir es zu einer propagandistischen Seifenblase, einer Augenauswischerei, einer unrühmlichen Erinnerung an unsere Unfähigkeit und Ohnmacht.

Nicht die alles zerstörende Werkstättenlandschaft, nicht die eintönigen Zweckbausiedlungen, nicht die verödete wüstenähnliche Industrielandschaft, sondern allein die liebevoll gestaltete und gepflegte Kulturlandschaft, geboren aus intelligenter Überlegung, Genügsamkeit und Bescheidenheit hat Lebensqualität und besitzt Zukunftschancen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung