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Wie zum Tode verurteilt

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Neun prominente Palästinenser sollen dieser Tage auf Befehl der israelischen Militärverwaltung aus den besetzten Gebieten ausgewiesen werden. Der Bekannteste unter ihnen ist Dschibril el Radschub, der 1970 als 17j ähriger, kurz vor der Matura, zu lebenslänglicher Haft wegen Beteiligung an zehn Terroranschlägen verurteilt wurde. Dschibril machte 15 Jahre lang die schwere Schule des Gefängnisses mit.

Doch konnte man ihn nicht unterkriegen. Er wurde Vertreter der Gefangenen gegenüber den

Gefängnisbehörden. 1985 war Dschibril einer der 1.100 arabischen Häftlinge, die gegen drei israelische Gefangene der „Volksfront — die Generalkommandantur“ eingetauscht wurden.

Er ging nach Ramalla, wurde nach kurzer Zeit wieder festgenommen und sechs Monate in administrativer Haft behalten. Heute arbeitet er bei einer arabischen Wochenzeitung. Bei der Jugend im Westjordanland und im Gazastreifen ist er sehr bekannt. „Er wird uns anführen“, kann man immer wieder hören. Seine Frau klagt nicht. Sie weiß, daß die Ausweisung Teil seines Kampfes gegen die Okkupation ist.

Im Haus von Dschamal Abdalla Schakar Dschabara hingegen saßen alle Frauen der Familie beisammen, zerkratzten sich aus

Trauer über den Ausweisungsbefehl die Gesichter und weinten. Die Verbannung des 28jährigen Dschabara ist für sie wie eine Todesstrafe.

Das Durchgreifen mit harter Hahd geht auf Verteidigungsminister Jizchak Rabin zurück. Es geht ihm darum, andere Palästinenser einzuschüchtern. Die jetzt Ausgewiesenen „vertreten“ alle Regionen der besetzten Gebiete — also insgesamt fünf aus dem Westjordanland und vier aus dem Gazastreifen.

Die Ausweisungsstrafe ist hier sehr gefürchtet. Die meisten ziehen sogar eine langfristige Gefängnisstrafe einer Deportation vor, da immerhin Aussicht auf Begnadigung besteht. Doch wer einmal ausgewiesen ist, kann nicht mehr zurück.

Die jetzt vor der Verbannung Stehenden sind in ihren Regionen angesehene Persönlichkeiten; von der Jugend, die ihnen blindlings folgt, absolut anerkannt. Sobald sie irgendwo im Exil sind, haben sie ihre Gefolgschaft verloren und haben keine Aussicht, ihre politische Karriere weiter vorantreiben zu können.

So sind die meisten Ausgewiesenen der vergangenen Jahre, die seinerzeit an der Spitze von Cis-jordanien standen, heute bei den

Palästinensern in Vergessenheit geraten.

Wenn dieselben nun gezwungenermaßen auf ihre politische Karriere innerhalb der PLO verzichten und ihrem Beruf nachgehen wollen, ist auch dies kein leichtes Unterfangen. Die Palästinenser sind in den Nachbarländern nicht sehr populär. Eine Anstellung zu finden, ist nicht leicht.

Da kann es schon passieren, daß die Exilanten ohne Geld, berufliche Existenz und ohne Wohnung nur mit einer kleinen Unterstützung der PLO irgendwo ihr Dasein fristen müssen. Früher war es leicht, in einem der ölstaaten Arbeit zu finden. Doch heute ist es wegen der Ölkrise auch dort schwer.

Die Ausweisung ist allerdings ein ziemlich langwieriger Prozeß. Innerhalb von 96 Stunden nach Erhalt der Ausweisungsbefehle kann der Betroffene an eine Offizierskommission appellieren, die nochmals vorsichtig alle Begründungen kontrolliert. Sollte sie zu dem Schluß kommen, daß eine Ausweisung nicht berechtigt ist, wird dem unterzeichneten General angeraten, die Ausweisung rückgängig zu machen. Lehnt die Kommission die Appellation ab, kann sich der Betreffende noch an das Oberste Gericht wenden, dessen Entscheid dann endgültig ist.

Obwohl sich bisher fast alle Ausgewiesenen auch an diese Instanz gewandt haben, hat sich das Gericht bisher nie eingemischt. Die Verhandlungen vor dem Obersten Gericht können sich auch in die Länge ziehen. Drei der Ausgewiesenen des Vorjahres führen immer noch ihre Angelegenheit, und keiner weiß, wann ein endgültiger Beschluß gefaßt wird.

Das Ausweisungsgesetz wurde in den zwanziger Jahren mit Hilfe eines Regierungsdekrets von der damaligen britischen Mandatsregierung eingeführt. Nach Auflösung des Mandats übernahmen Jordanien, Israel und Ägypten im Gazastreifen dieses Gesetz. Und da in den besetzten Gebieten das jordanische beziehungsweise im Gazastreifen das ägyptische Gesetz weiter herrscht, ist das Ausweisungsgesetz ohne Schwierigkeiten anzuwenden.

Seit 1967 wurden hier fast 900 Personen ausgewiesen, wobei die Verbannung zumeist in aller Stille erfolgte und kaum internationales Interesse erregte. Erst durch die jüngsten Unruhen hat der Ausweisungsbeschluß andere Dimensionen angenommen. Das internationale negative Echo war diesmal besonders stark.

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